Weg des Zorns 01 - Die Kriegerin
dir niemals etwas geschehen könnte, dann würde ich das sofort tun. Und deswegen wäre es mir natürlich ungleich lieber, wenn du irgendeinen netten, kleinen Schreibtischjob hättest. Irgendetwas, wo das Schlimmste, was dir passieren könnte, wohl wäre, dass du dich an einem Blatt Papier schneidest oder dir den Kaffee über die Hose schüttest.«
Bei diesem letzten Satz hatte ihr Vater das Gesicht zu einer so drolligen Grimasse verzogen, dass Alicia lachen musste. Doch dann wurde seine Miene sofort wieder ernster.
»Aber ich kann dich nicht einfach in Watte packen, sosehr ich dich auch liebe. Oder auch, weil ich dich so liebe. Ich denke, das Schwerste, was alle Eltern irgendwann einfach lernen müssen, ist, zur rechten Zeit auch loszulassen, aber das ist in vielerlei Hinsicht auch das Wichtigste, was sie lernen müssen. Wenn man seine Kinder wirklich liebt, dann muss man sie auch das sein lassen, wer und was sie sind, und nicht mit aller Gewalt versuchen, sie zu dem zu machen, was man selbst am liebsten hätte. Wenn man versucht, sie zu irgendetwas zu zwingen, dann ist das wohl die sicherste Methode, sie von einem fortzutreiben - und was auch immer für einen Beruf du dir tatsächlich auch ausgesucht hättest, nichts und niemand könnte garantieren, dass dir wirklich nichts zustößt. Wie dein Großvater schon das eine oder andere Mal gesagt hat - natürlich immer nur dann, wenn er dachte, deine Mutter würde ihn nicht hören: Shit happens.
Und was die ... vielleicht sollte man sagen: die moralische Seite deiner Entscheidung angeht ...« Er verzog das Gesicht und vollführte eine beiläufige, wegwerfende Handbewegung.
»Dein Großvater und ich haben über dieses Thema im Allgemeinen schon viel gesprochen. Ich bin mir nicht sicher, dass er jemals so ganz verstanden hat, wie ich darüber denke, auch wenn er es zweifellos versucht hat. Aber es läuft darauf hinaus, dass ich noch nie sonderlich viel Geduld für die Einstellung aufbringen konnte, die ein gewisser Teil der sogenannten intellektuellen Elite der Kernwelten über das Militär an den Tag legt. Ja, ich wünschte, wir würden das Militär überhaupt nicht benötigen. Ich wünschte, es gäbe niemanden, der bereit wäre, Gewalt einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen, und ich wünschte, es wäre nicht erforderlich, dass andere Gewalt einsetzen, um sie aufzuhalten. Ich wünschte, niemand müsste je getötet werden. Ich wünschte, keine Stadt müsste jemals in ein Schlachtfeld verwandelt werden.
Aber sosehr ich mir derartige Dinge auch wünschen mag: Sie sind mir eben einfach nicht vergönnt. Und das bedeutet, wir brauchen Leute, die sich zwischen die Zivilisation und die Barbarei stellen. Wir brauchen Menschen wie deinen Großvater. Wir brauchen Menschen wie dich.
Ich mag ja denkbar ungeeignet sein, diese Aufgabe selbst zu erfüllen. Um ehrlich zu sein: Ich wäre darin furchtbar schlecht, und das gleich aus mehrerlei Gründen. Und wenn wir schon dabei sind: Ich möchte mich wirklich nicht darauf verlassen, dass ich selbst die innere und auch die moralische Festigkeit besitze, all das zu tun, was diese Aufgabe mir abverlangen würde. Aber das hindert mich nicht, den Menschen unendlich dankbar zu sein, die diese Aufgabe, die ich selbst niemals erfüllen könnte, tatsächlich übernehmen. Ich hätte es deutlich vorgezogen, wenn meine Tochter, die ich so sehr liebe, nicht jenen Preis würde zahlen müssen, von dem ich jetzt schon weiß, dass du ihn bezahlt hast. Aber das war ein Preis, den zu zahlen du dich selbst entschieden hast, und sosehr ich mir auch Sorgen um dich machen mag, ich bin sehr, sehr stolz auf dich.«
»Wirklich?« Alicia spürte, dass ihr Lächeln ein wenig zitterte. »Ich habe nie daran gezweifelt, dass du mich liebst und meine Entscheidung akzeptiert hast. Aber ich hatte immer die Befürchtung ...«
»... ich könnte, irgendwo tief in meinem Inneren, immer noch das Gefühl haben, du hättest ›dein Leben und dein Talent weggeworfen‹, weil du dich ›bloß‹ für eine Militärlaufbahn entschieden hast«, beendete er den Satz für sie. In ihren Augen flackerte Protest auf, und er schüttelte den Kopf. »Mir ist klar, dass das jetzt deutlich härter ausgedrückt ist, als du es jemals ausgesprochen hättest, aber wahrscheinlich geht das schon in genau die richtige Richtung. Und ich bin mir sicher, jemand mit deinen Talenten hätte in einem Zivilberuf deutlich mehr Geld verdienen können. Und was das betrifft, bin ich mir auch sicher, dass
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