Weg mit den Pillen
Abstieg in ein flaches Hochtal mit Mulden und Wiesen bedeutet.
Sie merken: Ich gehe auf all die Informationen ein, die Sie nicht in der Landkarte finden, auch wenn der Maßstab 1:10000 betragen sollte. Ich weise Sie darauf hin, was alles in dieser Abstraktion einer
Landschaft fehlt: der emotionale Gehalt, die Erlebnisse und Erfahrungen, die man dort haben kann.
Genauso ist es auch mit Paradigmen, und speziell mit dem Maschinenparadigma des Körpers. Sie sind Wahrnehmungsfilter und Abstraktionen. Sie zeigen uns, wie man die Welt unter einem bestimmten Gesichtspunkt sehen kann. Im konkreten Fall zeigt uns das Maschinenparadigma den Weg dazu, wie wir den Körper begreifen können, wenn wir ihn denn als Maschine verstehen wollen – wie wir ihn manipulieren und wie wir ihn auch im Krankheitsfalle behandeln können. Was wir dabei gerne übersehen ist, dass dies nur eine von vielen Ansichtsweisen ist. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat einmal gesagt, dass für einen Mann, der nur einen Hammer als Werkzeug hat, alles wie Nägel aussieht, auch was gar kein Nagel ist. 10 So ähnlich ist es hier auch: Wenn wir das Maschinenparadigma des Organismus mit der Wirklichkeit verwechseln, dann wird das Herz plötzlich zur Pumpe, der Körper ist ein mechanisches Sammelsurium aufeinander abgestimmter Teilmodule, und der ganze Mensch wird zum Apparat. Wir beginnen dann uns und andere als Automaten zu begreifen, werden uns so verhalten und wundern uns, dass uns andere genauso behandeln. Wir haben sogar schon angefangen – kollektiv – den Geist als komplexe Apparatur zu sehen, als einen Mechanismus feinerer Sorte, und wenn wir nicht aufpassen, dann landen nicht nur wir selbst dereinst auf dem Schrottplatz, sondern unsere Kultur auf dem Schrotthaufen der Geschichte. Unsere Nachfahren, so es dann noch welche gibt, werden dann kommen und sagen: Guckt mal, das waren die, die gedacht haben, die ganze Welt sei wie ein Auto. Und dann sind ihnen die Ersatzteile ausgegangen und der Sprit.
Das Maschinenparadigma ist also bedenklich und wird falsch, wenn wir vergessen, dass es ein Modell und eine Abstraktion ist. Es funktioniert sehr gut und leistet hervorragende Dienste, wenn es wirklich nur um diese mechanischen Seiten geht: im Notfall zum Beispiel. Wenn ein Herz wirklich stehen bleibt, dann ist es gut, wenn ein Notarzt zur Stelle ist, der den »Mechanismus« der Herzphysiologie versteht und es wiederbeleben kann. Oder wenn wir im
Detail verstehen wollen, welche Vorgänge ablaufen, welche Prozesse genau zu einer Krankheit führen und was man wissen muss, um diagnostisch eine bestimmte Krankheit beschreiben zu können. Es ist aber nicht ausgemacht, dass das im komplexen Krankheitsfall genauso gut funktioniert. Kehren wir zurück zu Helmut und zu meinem Vater. Der Verschluss der Koronararterien ist ein sehr langsamer Prozess, eine chronische Krankheit, deren Beginn man gar nicht merkt. Wie wir gesehen haben, dauert es sehr lange – manchmal zu lange –, bis man Symptome spürt. Was passiert in dieser langen Zeit alles: Der Mensch eignet sich bestimmte Gewohnheiten an. Er isst bestimmte Dinge und andere eher nicht. Er bewegt sich mehr oder weniger stark. Er ist beruflich einem bestimmten Druck ausgesetzt, und wenn es dumm kommt, hat er nicht gelernt, mit diesem Druck angemessen umzugehen. Oder er macht sich Sorgen um seine eigene finanzielle Zukunft.
All diese Aspekte (und ich könnte hier noch viel mehr aufzählen) werden sich auswirken. Sie werden seine immunologische Lage beeinflussen und zum Beispiel die Verteilung und Menge der Gerinnungsfaktoren im Blut verändern. Das könnte dazu führen, dass sein Blut leichter gerinnt. Dann entstehen schneller Blutgerinnsel, ganz kleine nur, die sich irgendwo ablagern können. Die emotionale Lage kann sich auch auf die hormonelle Situation auswirken und führt möglicherweise zu einem dauerhaft erhöhten Blutdruck. Der macht die Gefäße unelastisch und Bindegewebe lagert sich dort ein, wo eigentlich Muskeln in der Gefäßwand sein sollten. Außerdem führt dauerhaft zu hoher Blutdruck dazu, dass der Herzmuskel geschädigt wird.
Helmut ist, wie mein Vater, ein Mann mit Vorliebe für traditionelles Essen. Gutes, herzhaft gewürztes Fleisch – durchaus auch Salat und Gemüse, aber mit dem nötigen Fett dazu. Dazu muss man wissen, dass sich die Art und Weise, wie unsere Nahrung produziert wird, stark verändert hat. Als ich klein war und meinen Verwandten auf dem Bauernhof half,
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