Weg mit den Pillen
und mein
Vater über Jahrzehnte zu sich nahmen, hat langsam aber sicher, ganz subtil, ohne dass dies spürbar war, die Balance des Körpers dorthin verschoben, dass entzündliche Prozesse beschleunigt oder begünstigt wurden. Wo früher vielleicht gelegentlich eine kleine innere Entzündung ausbrach, die von allein wieder zurückging, wird heute plötzlich ein dauerhafter Entzündungsherd entstehen, winzig klein, sodass es keiner merkt. Mit allen anderen Faktoren zusammen kann dies über ausreichend lange Zeit dazu führen, dass die Herzkranzgefäße allmählich »verstopfen«.
Das biopsychosoziale Modell
Wir sehen: Eine Fülle von Faktoren – manche psychisch, manche sozial, manche vielleicht auch genetisch, wieder andere verhaltens-und ernährungsbedingt – spielt zusammen, um die komplexe chronische Erkrankung »koronare Herzkrankheit« entstehen zu lassen. Diese Betrachtungsweise chronischer Krankheiten wird mittlerweile in Wissenschaftlerkreisen das »biopsychosoziale Modell«, von manchen auch erweitert »biopsychosoziospirituelles Modell« genannt. Es erkennt an, dass eine einfache mechanische Ursache zur Erklärung chronischer und der meisten anderen Krankheiten zu kurz greift. Viele Faktoren müssen berücksichtigt werden. Es ist zu einfach und zu eindimensional, nur einen Faktor herauszugreifen und (wie das oft gemacht wird) »Lipidsenker zur Senkung des schlimmen LDL-Cholesterins« zu verwenden.
Nun kommt das Maschinenparadigma wieder ins Spiel. All die kleinen Details, die ich oben erwähnt habe – dass etwa Emotionen die immunologische Lage beeinflussen können oder Omega-3-Fettsäuren die Entzündungsreaktionen im Körper – diese und viele andere Details kennen wir nur, weil wir den Organismus als Maschine begreifen und sein Funktionieren untersuchen. Wir analysieren, sehen vom Ganzen ab und gehen ins Detail. Dabei kommen diese wunderbar genauen Erkenntnisse heraus. Aber wer setzt sie wieder zusammen? Kaum einer. Warum nicht? Weil wir kein Verständnis und kein Paradigma für das ganzheitliche Zusammenwirken
all dieser Einzelkomponenten haben und weil es reichlich kompliziert ist, den Überblick zu behalten.
Das hat aber nun eine weitreichende Konsequenz: Obwohl wir die Entstehung von Erkrankungen wie der koronaren Herzkrankheit über die vielen möglichen Ursache-Wirkungs-Ketten verstehen können, versuchen wir dennoch (jedenfalls meistens) die Therapie mit einer einzigen Kanonenkugel zu betreiben – mit der »Magic Bullet«, der magischen Pille, die alles wieder richten soll. Gut, manchmal müssen es auch drei oder vier sein: Lipidsenker, ACE-Hemmer, noch ein paar Blutdrucksenker und vielleicht ein Blutverdünner. Mit diesen Mitteln meinen wir, die verschiedenen Entstehungsprozesse umgekehrt zu beeinflussen.
Was wir dabei übersehen: Zum einen erzeugen die vielen Einzelinterventionen oftmals viele Nebenwirkungen, sie treten miteinander in Interaktion und erzeugen gemeinsam wieder neue Wirkungen, die die Einzelkomponenten allein nicht hatten. Zum anderen lässt im Organismus das Zusammenspiel vieler einzelner Prozesse oftmals etwas ganz Neues entstehen, eben zum Beispiel die Krankheit. Das kausale Beeinflussen vieler Einzelprozesse jedoch lässt nicht notwendigerweise Gesundheit entstehen. Warum nicht? Weil Gesundheit etwas ist, das nur der Organismus als ganzer selbst produzieren kann. Und alles was wir tun können, ist den Organismus so gut wie möglich zu unterstützen in seinem Bemühen, Gesundheit wiederherzustellen.
Helmut hätte zum Beispiel lernen können, mit seinen Belastungen anders umzugehen, falls er welche hatte. Er hätte ein regelmäßiges Entspannungsprogramm in seinen Tag einbauen können. Er hätte sich überlegen können, ob seine Arbeitsstelle optimal für ihn ist, und gegebenenfalls dort einen Wechsel herbeiführen können. Er hätte seine Ernährung umstellen können. Das hätte seinen ganzen Stoffwechsel entlastet und weniger Abfallstoffe, weniger von den gefährlichen freien Radikalen produziert, die zu Entzündungsprozessen Anlass geben. Es hätte auch eine ganze Reihe von Genen reguliert, die mit einer Überproduktion von Entzündungsstoffen in Verbindung stehen und zu einer Anreicherung von unnötigem Fett
im Gewebe und Blut führen. Jede einzelne dieser Maßnahmen hätte dazu beigetragen, dass manche der Risikofaktoren, die zu koronarer Herzkrankheit führen, reduziert werden – und alle Maßnahmen zusammen noch mehr. Sie hätten auf noch unerforschten Pfaden
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