Weg mit den Pillen
Menschen übertragbar waren, weil die Nebenwirkungen zu heftig ausfielen, weil die Wirkung nicht gut steuerbar war, oder aus noch anderen Gründen. Pharmafirmen führen zwar viel Forschung im eigenen Haus durch, vor allem Entwicklungsforschung. Aber wenn die Präparate, mit denen sie arbeiten, nicht auch in der »normalen« Klinik funktionieren, nicht auch von anerkannten Wissenschaftlern getestet und für gut befunden wurden, sind die Chancen klein, dass sie auf dem Markt Erfolg haben. Daher wird Forschung in den Universitäten finanziell im beträchtlichen Ausmaß gefördert.
Ein guter Kenner der Schweizer Szene, der verstorbene Prof. Hannes G. Pauli aus Bern, schätzte bereits vor Jahren, dass 95 Prozent der klinischen Forschung in der Schweiz durch Pharmaunternehmen bezahlt würden. Die Zahl dürfte nicht zu hoch gegriffen sein und auch für Deutschland einigermaßen zutreffen. Auch wenn es nur 80 Prozent wären: Der Einfluss, der auf diese Weise entsteht, ist riesig. Nicht unbedingt der direkte, den meine ich nicht. Der wird natürlich durch sorgfältige Prüfprozesse bei der Publikation gering gehalten, obwohl es auch da Verzerrungen gibt, die darzulegen hier zu weit führen würden. 11 Aber der indirekte Einfluss. Der Einfluss auf die Köpfe, die Herzen und Ressourcen der führenden Wissenschaftler und ihrer Institutionen. Die herrschende Denkweise beeinflusst, was wir uns zu denken getrauen und gewohnt sind. Was wir häufig denken, halten wir für die Wahrheit. Das führt dazu, dass wir andere Perspektiven kaum mehr sehen, und wenn jemand mit anderen Perspektiven kommt, werden diese meistens zunächst als lächerlich diffamiert. Am schlimmsten aber ist, dass alle verfügbaren
Ressourcen in die gewünschte Richtung kanalisiert werden: Geld, Personal, die Arbeitskraft der Nachwuchswissenschaftler und Doktoranden wird dorthin gelenkt. Für vergleichsweise wenig Geld kauft sich eine Pharmafirma mit der Bezahlung einer Studie in einer Klinik also nicht nur einen solide erarbeiteten und publizierbaren Datensatz, der frei vom Stallgeruch der Pharmaforschung ist, sondern sie legt auch eine Spur für künftiges Denken. Wer einmal Skifahren war, weiß, was ich meine: Es gibt auf manchen Pisten enge Passagen, zum Beispiel wenn man steile Hänge quert. Viele Fahrer vor uns haben dann Spuren eingegraben. Diese führen uns in rasanter Fahrt weiter, über Wellen und Hügel. Man ist dem Lauf dieser Querung so lange ausgesetzt, bis sich die Piste wieder freier entfaltet. Dazwischen aus der Spur zu fahren, erfordert entweder hohes Können oder aber man stürzt.
Wenn Sie mir nicht glauben, werfen Sie einen Blick auf Abbildung 3 . Es handelt sich dabei um einen Teil des sogenannten »Conflict of Interest Statement« aus der größten je durchgeführten Studie zur Wirksamkeit von Antidepressiva in der niedergelassenen Praxis, der sog. STAR*D-Studie. Diese wurde von den bekanntesten amerikanischen Psychiatern in Kooperation durchgeführt. Die Arbeit wurde im renommierten American Journal of Psychiatry publiziert, und in solchen Publikationsorganen müssen die Autoren aufdecken, von wem sie alles Geld erhalten haben (völlig unabhängig von der Finanzierung der Studie). Das dient dazu, dass sich die Leser ein Bild darüber machen können, wie stark eine publizierte Meinung oder Arbeit möglicherweise von finanziellen Abhängigkeiten bestimmt sein könnte.
Abb. 3 : Ein kleiner Auszug des insgesamt fast zweiseitigen »Conflict of Interest Statement« einiger Autoren der STAR*D-Studie. 12
Ich denke, es ist offensichtlich, was ich meine: Die führenden Forscher an den Universitäten sind dermaßen stark mit den Interessen der pharmazeutischen Industrie verwoben, dass man nicht erwarten kann, dass sie einen unabhängigen Blick oder gar ein Bewusstsein für die Schattenseiten des Maschinenparadigmas haben könnten, von dem sie ja alle profitieren. Denn all die genannten Firmen verdienen mit der Herstellung von Antidepressiva ihr Geld und wollen, dass diese sich gut auf dem Markt positionieren. Auch wenn eine einzelne Studie danebengeht: Der finanzielle Einfluss auf wichtige Meinungsführer stellt sicher, dass die allgemeine Meinung positiv bleibt und dass weitere Forschung in diese Richtung kanalisiert wird.
In diesem Sinne führt die Vorherrschaft des Maschinenmodells dazu, dass das, was uns geholfen hat, die Einsicht in das Funktionieren des Körpers zu gewinnen und auch viele hilfreiche Medikamente zu entwickeln, gleichzeitig
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