Weg mit den Pillen
Wirksamkeit der Akupunktur bei drei Syndromen zum Untersuchungsgegenstand: bei Kniearthrose, bei Rückenschmerzen und zur Migräneprophylaxe. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Therapie der Migräne durch Akupunktur im Akutfall schwierig, wenn auch nicht unmöglich ist; eine Studie hat sogar gezeigt, dass Akupunktur und pharmakologische Therapie gleich gut wirken 29 . Hier ging es allerdings um Prophylaxe, also um die vorbeugende Therapie. Alle drei Studien hatten einen identischen Versuchsaufbau:
Akupunktur wurde mit einer nachvollziehbaren Punktekombination angewandt, aber mit dem nötigen Freiraum – etwa so, wie ein einigermaßen gut ausgebildeter Akupunktur-Arzt in Deutschland behandeln würde. Als Placeboprozedur wurde zur Kontrolle eine sogenannte Scheinakupunktur eingesetzt. Dazu versammelten sich alle möglichen Größen der Akupunkturszene in Deutschland zu einem Workshop, bei dem besprochen wurde, welche Punkte am Körper keine therapeutische Wirksamkeit haben würden. Das ist nicht ganz trivial. Denn es gibt unterschiedliche Akupunkturatlanten. Die Chinesen jener Schule machen es geringfügig anders als die Chinesen einer anderen Schule. Die Japaner und Koreaner haben wieder andere Vorstellungen, und legt man alles übereinander, so ist bald kein Punkt am Körper mehr vorhanden, der nicht unter der einen oder anderen Maßgabe auch ein Akupunkturpunkt sein könnte. Schließlich einigten sich die Experten dennoch auf vermeintlich unwirksame Punkte. Diese wurden als Placebopunkte für die Scheinbehandlung zugelassen. Und um auch die Effekte der Nadelung, die ja immerhin eine ganze Reihe unspezifischer Effekte auslösen kann, möglichst gering zu halten, wurde
viel flacher genadelt als bei der richtigen chinesischen Akupunktur. Vor allem wurde die Nadel nicht stimuliert. Das machen chinesische Akupunkteure nämlich, um ein bestimmtes Gefühl, das sogenannte »De Chi« zu erzeugen. Das fühlt sich an, als würde sich im Körper etwas bewegen. Es kann manchmal leicht schmerzhaft sein, oft ist es angenehm, wird aber auf jeden Fall bei einer erfolgreichen Akupunktur gespürt und als Zeichen der Richtigkeit der Stimulation gesehen. Man interpretiert es klassischerweise so, dass die Lebensenergie in Fluss gekommen sei. Dieses De-Chi-Gefühl sollte bei der Scheinakupunktur vermieden werden.
Damit war also eine Vergleichsmöglichkeit von Akupunktur gegen Scheinakupunktur aufgebaut, deren offensichtliches Ziel es war, den »wahren« Effekt der Akupunktur von ihren Placebokomponenten zu trennen. Um nun aber den solchermaßen isolierten Effekt auch noch in einen Kontext stellen zu können, entschloss man sich – entgegen dem normalen sparsamen Vorgehen bei solchen Studien – auch noch einen dritten Studienarm aufzubauen. In diesem sollten die Patienten nach den Vorgaben der optimalen konventionellen Versorgung behandelt werden, also mit dem Besten, was die heutige Medizin zu bieten hat. Man hat diese dritte Vergleichsgruppe, die wir »konventionelle Behandlung« nennen wollen, mit Absicht so aufgebaut, dass sie maximal stark sein sollte. Das ist wichtig zu verstehen, weil in anderen vergleichbaren Untersuchungen diese oftmals »normale Behandlung – treatment as usual« bezeichnete Gruppe nur eine minimale Versorgung erhält. Hier war es umgekehrt. Die konventionelle Gruppe erhielt die maximale Versorgung. Das Ziel und der Hintergedanke war klar: Akupunktur sollte eine doppelte Hürde nehmen. Sie sollte sich gegenüber einem Placebo bewähren und zeigen, dass sie spezifische Effekte hat. Sie sollte aber auch mindestens so gut sein wie das Beste, was die konventionelle Behandlung zu bieten hat, um versorgungspolitisch gesehen eine Rechtfertigung zu haben.
Die Studien waren sehr groß und kosteten mehrere Millionen Euro. In jede Studie waren etwa 1000 Patienten eingeschlossen. Was geschah ? In keiner der Studien war Akupunktur besser als sein Placebo.
In der Kniearthrose-Studie und in der Rückenschmerz-Studie aber waren beide, Scheinakupunktur und richtige Akupunktur, doppelt so wirksam wie das beste, was die deutsche Medizin zu bieten hatte, und in der Migräneprophylaxe-Studie waren alle drei Gruppen etwa gleich gut.
Das ist ein Ergebnis, das man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Das flache Nadeln von Punkten, die anerkanntermaßen untherapeutisch sind, ist doppelt so wirksam wie Physiotherapie, Fangopackungen und Schmerzmedikation zusammen! Jedenfalls bei den Patienten dieser Studien. Wie kann
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