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Weg mit den Pillen

Weg mit den Pillen

Titel: Weg mit den Pillen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Walach
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Besserung.
    Möglicherweise kommt bei diesen Studien noch ein weiterer Effekt hinzu: Die Patienten waren von der Kasse auf die Möglichkeit der Akupunkturbehandlung hingewiesen worden. Wer nun aber in die konventionelle Gruppe gelost worden war, hatte sozusagen den schwarzen Peter gezogen. Die meisten Patienten in dieser Studie hatten bereits konventionelle Behandlung erhalten und wussten, dass sie bei ihnen nicht fruchten würde. Sie waren möglicherweise enttäuscht. Das kann natürlich Schmerzen verschlimmern. Wenn ich als enttäuschter Patient gefragt werde, wie weh es mir tut, dann antworte ich vermutlich ein klein bisschen schlechter, als mir wirklich zumute ist.
    So lässt es sich erklären, dass in diesen Studien die Placebokomponente in den Akupunkturarmen so stark und in der konventionellen Behandlung offenbar so wenig ausgeprägt ist. Das zeigt aber auch: Die psychologische Selbstheilung ist eine sehr variable Größe. Sie lässt sich womöglich steuern und ist vor allem nicht einfach ein fixer Maßstab, mit dem man alles andere messen kann. Es ist ein Maßstab, der sich ausdehnt und schrumpft, je nachdem, was und in welchem Kontext gemessen wird.
    Die psychologischen Effekte einer Therapie, diejenigen Effekte, die durch die Erwartung, Steigerung der Hoffnung, Entspannung, Minderung der Angst zustande kommen, wollen wir als »Effekte der Selbstheilung« verstehen. Das medizinische Schimpfwort dafür
ist »Placeboeffekte«. Diese Effekte der Selbstheilung, so sahen wir, können sehr variabel sein. Sie hängen sicherlich zum einen von der Art der Krankheit ab. Wir wissen etwa, dass sie bei allen Schmerzsyndromen – bei chronischen Schmerzerkrankungen, bei rheumatischen Schmerzen oder Kopfschmerzen – relativ hoch sind, aber auch bei eher vegetativen Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom. Bei Depressionen, das sahen wir auch, sind diese Effekte sogar so groß, dass es methodisch sehr schwer ist, die Wirksamkeit pharmakologischer Substanzen gegen sie statistisch abzusichern. Krankheiten, die das neurologische System sehr beeinträchtigen, wie etwa Alzheimer-Demenz, neigen eher weniger dazu, auf Placebogaben anzusprechen.
    Wir haben einmal versucht herauszubekommen, welche Kennzeichen klinischer Studien die Höhe der Placeboreaktion beeinflussen. Das verblüffende Ergebnis war: Kaum irgendetwas, das wir über klinische Studien in Erfahrung bringen können, hilft uns zu verstehen, wie hoch der Placeboeffekt sein wird. Es gibt nur eine einzige Größe, die wirklich systematisch mit dem Placeboeffekt in Zusammenhang steht. Dies ist die Wirksamkeit der Medikation. Je größer oder geringer der therapeutische Effekt in der Behandlungsgruppe einer Studie ist, umso größer oder geringer ist auch der therapeutische Effekt in der Placebogruppe. Diese Gleichung kann man auch umdrehen: Je größer der therapeutische Effekt in der Placebogruppe einer Studie ist, desto größer ist der therapeutische Effekt in der Behandlungsgruppe. Dieser Zusammenhang ist ziemlich groß. Er wird gemessen mit einer sogenannten Korrelation – einer statistischen Rechnung, die Zusammenhänge von Größen zahlenmäßig herstellt. Sie ist so aufgebaut, dass sie von null (kein Zusammenhang) bis eins (perfekter Zusammenhang) geht. Die meisten Zusammenhänge, die wir aus der Forschung kennen, haben eine mittlere Größe. So liegt etwa der Zusammenhang zwischen Intelligenz und späterem Einkommen bei etwa 0.4, und damit sind wir als Sozialwissenschaftler schon sehr zufrieden. Die Korrelation zweier Testergebnisse – sagen wir eines Intelligenztests, der zweimal hintereinander im Abstand von zwei Wochen
durchgeführt wird – liegt bei etwa 0.7 und hat damit schon das Maximum an Zusammenhang erreicht, die man bei solchen Tests finden kann. Die Größe des Zusammenhangs zweier Blutdruckmessungen bei ein und derselben Person liegt meistens weit unter dieser Größenordnung. Der Zusammenhang zwischen der Höhe der Besserungsrate unter Placebo und der Besserungsrate unter pharmakologischer Therapie in den von uns untersuchten klinischen Langzeitstudien – ganz verschiedene Patienten, ganz verschiedene Behandlungen und Krankheiten – lag bei 0.79 und ist damit eigentlich gigantisch hoch. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen, und welche richtig ist, ist derzeit schwer zu entscheiden: Entweder sind alle medizinischen, pharmakologischen Therapien, die wir in diesen Studien repräsentiert fanden, nicht so enorm wirksam, und die Selbstheilungstendenz

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