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Weg mit den Pillen

Weg mit den Pillen

Titel: Weg mit den Pillen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Walach
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bereits genannt, als ich den Zusammenhang zwischen Industriegeldern und Forschungseinfluss erwähnt habe. Hier wurde das Verhalten von Psychiatern in einer Studie abgebildet, in der nicht mit Placebo gearbeitet wurde. Also wussten Patienten und Ärzte in diesem Fall, dass sie mit wirksamen Arzneimitteln arbeiteten. Wenn das erste Arzneimittel nicht wirkte, gingen sie zum nächsten, spezielleren, wirksameren und auch teureren. Insgesamt gab es vier solcher Eskalationsstufen. Alle Patienten sollten mindestens ein Jahr lang behandelt und untersucht werden. Das war die größte jemals durchgeführte Studie und mit 35 Millionen Dollar auch die teuerste. 25
    Das Ergebnis ist recht ernüchternd: Je wirksamer die Arzneimittel waren, desto weniger Patienten blieben dabei, weil die Nebenwirkungen natürlich zunahmen. Insgesamt konnten weniger als 50 Prozent aller Patienten mit diesen Medikamenten dauerhaft von Depressionen befreit werden. Dabei muss man immer bedenken: Der Placeboeffekt reitet mit. Er ist dabei, weil die Patienten sehr eng betreut wurden, wussten, dass sie Teil einer wichtigen Studie waren, weil die Ärzte sich große Mühe gaben, weil die Studie mit einem Riesenaufwand lanciert worden war und weil sie durch enge Patientenbindung über Internet, Newsletter und Telefonate große Hoffnungen geweckt hatte. Diese 50 Prozent dauerhafte Besserung sind also offenbar das Maximum, das man in der niedergelassenen Praxis über eine hinreichend lange Zeit erreichen kann. Dabei sollte man bedenken: Hier wurden nicht nur SSRI eingesetzt, sondern auch atypisch wirkende Medikamente und solche, die das Noradrenalinsystem und das Dopaminsystem ansprechen – alles mit eigentlich mäßigem Erfolg.
    All das zeigt uns, dass die Metapher von der Maschine, deren sich auch die biologische Psychiatrie bedient, auch beim Verständnis der psychischen Krankheiten nur teilweise nützlich ist. Eine neuere Analyse, welche die STAR*D-Studie nochmals sorgfältig untersuchte, kam zu noch weniger schmeichelhaften Ergebnissen,
weil sich offenbar in die Definition, welche Patienten nun genesen waren und welche nicht, einige Fehler eingeschlichen hatten. 26 Das Ergebnis dieser Autoren ist ziemlich niederschmetternd. Sie meinen, dass der Haupteffekt dieser ganzen Riesenmaschinerie der pharmakologischen Depressionstherapie ein gigantischer Placeboeffekt sei.
    Wie dem auch sei: Wir sehen an diesem Beispiel zweierlei. Zum einen hat das Maschinenmodell vom Menschen, das auch die biologische Psychiatrie erobert hat, enorm viel Energie, Aufwand, Geld und Ressourcen verschlungen. Das Versprechen war: Wir verstehen – bald, in absehbarer Zukunft –, wie die Maschinerie unseres Gehirns Gefühle hervor- oder nicht hervorbringt und können dann, wenn wir das verstanden haben, kausal eingreifen. Wir werfen ein paar Pillchen ein und beeinflussen den Automaten nach unserem Gutdünken. Das funktioniert offenbar nur in sehr engen Grenzen und mit bescheidenem Erfolg. Giovanni Fava, ein namhafter Autor auf dem Gebiet und Herausgeber der Zeitschrift Psychotherapy and Psychosomatics , geht sogar so weit zu sagen, dass der Misserfolg der entsprechenden Forschung eigentlich belege, dass das Modell der biologischen Psychiatrie und mit ihm das Maschinenmodell von der Psyche als gescheitert anzusehen sei. 27
    Das zweite, was wir an diesem Beispiel sehen, ist, wie einem das Starren auf die pharmakologische Lösung den Blick für andere Möglichkeiten verstellt. Erinnern wir uns: 74 Studien hatten Turner und Kollegen in den Archiven gefunden. Das sind nur die neueren, die SSRI verschiedener Bauart zum Gegenstand haben, andere und ältere Substanzen sind hier gar nicht mitgerechnet. Veranschlagen wir für jede Studie etwa 1,5 Millionen Dollar (was für manche vermutlich eher billig ist), dann sind nur in den klinischen Teil dieser Forschung mindestens 100 Millionen Dollar geflossen. Nehmen wir die ganze Entwicklung und präklinische Forschung, all die öffentlichen Gelder – etwa die 35 Millionen Dollar, die die STAR*D-Studie gekostet hat – hinzu, so sind wir leicht bei einer bis mehrere Milliarden Dollar, die in diese Art von Forschung geflossen ist. Wenn es ausreicht. Das ist zwar immer noch wenig im Vergleich
zu den Verteidigungsbudgets der großen Nationen und dem Geld, das durch den Wirtschaftseinbruch im Jahr 2008 verbrannt worden ist, aber es ist immerhin eine erkleckliche Summe Geldes. Man hätte mit ihr möglicherweise auch Sinnvolleres anstellen können als

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