Weg mit den Pillen
Arzneimittel entwickeln, die eine mäßige Wirkung und relativ bedenkliche Nebenwirkungen haben. Manche dieser SSRI haben nämlich den unangenehmen Nebeneffekt, dass sie schwer Depressive zunächst einmal aus ihrer Lethargie befreien. Das kann – vor allem bei Kindern und Jugendlichen – dazu führen, dass jemand endlich die Energie findet, die Selbsttötungsabsicht in die Tat umzusetzen, die er oder sie schon lange hegte, aber mangels Antrieb nie verwirklichen konnte. Es benötigte möglicherweise Hunderte von Todesfällen bei Jugendlichen und Kindern, bevor die Behörden das Problem erkannten – glaubt man Insidern, dann war dieses Problem den Firmen schon längst bekannt 28 – und Warnungen anbrachten bzw. die Arzneimittel für Kinder und Jugendliche wieder zurückriefen. Von leichteren Nebeneffekten wollen wir jetzt einmal gar nicht reden.
Andere Verfahren, Psychotherapieverfahren etwa oder eine Präventionsform, die auf Achtsamkeit und Meditation setzt und zur Verhinderung von Rückfällen beinahe doppelt so effektiv ist wie die pharmakologische Therapie, sind erst relativ spät untersucht worden. Hierzulande sind sie noch kaum bekannt und viel weniger erforscht, weil eben kein potenter Geldgeber Interesse daran hat, diese Verfahren zu untersuchen. Psychotherapie, das wissen wir schon lange, ist mindestens genauso wirksam wie Pharmakotherapie, aber längerfristig hilfreicher, wenn auch die Wirkung später einsetzt. Aber sowohl der moderne Zeitgenosse, der sich lieber behandeln lässt als selbst zu handeln, als auch die Öffentlichkeit und öffentliche Hand favorisieren den medikamentösen Schnellschuss. Wir sahen also am Beispiel pharmakologischer Depressionstherapie, dass der spezifische Effekt dieser Therapien gegenüber dem allgemeinen Erwartungseffekt, der in den Placebogruppen entsprechender Studien abgebildet wird, oder dem psychologischen Effekt der Selbstheilung (um es etwas freundlicher zu sagen) eher klein ist.
Der Löwenanteil der therapeutischen Effektivität dieser Behandlungsmethode wird vom Placeboeffekt getragen.
Aber es kommt noch schlimmer. Es gibt auch Behandlungsmethoden, die kaum spezifische Effekte haben, aber insgesamt wesentlich effektiver als konventionelle Therapien sind. Dies ist das sogenannte Wirksamkeitsparadox. Wie ist nun dies zu verstehen?
Das Wirksamkeitsparadox und der Placeboeffekt
Das Wirksamkeitsparadox lässt sich am besten an zwei konkreten Studien erklären. Anfang der 1990er-Jahre kam in Deutschland die Akupunktur in Mode. Zeitgleich dazu geschah politisch etwas, was viele Menschen nicht richtig verstanden haben: Die Krankenkassen mussten sich per Gesetz öffnen. Das heißt, dass viele Kassen, die traditionell nur für eine bestimmte Klientel bestimmt waren – Betriebs- und Innungskrankenkassen beispielsweise – plötzlich auch andere Patienten nehmen durften. Krankenkassen, bislang eher behäbige Spieler auf dem Gesundheitsmarkt, wurden plötzlich zu wirtschaftlich agierenden Unternehmen. Sie mussten sich attraktiv auf diesem Markt präsentieren. Die ersten Krankenkassen, die damals das Marktpotenzial der Komplementärmedizin und unter den hier versammelten Verfahren vor allem der Homöopathie und der Akupunktur erkannten, waren die Innungskrankenkassen. Sie boten ihren Versicherten Akupunktur und Homöopathie im Rahmen eines eigens im Sozialgesetzbuch geschaffenen Instruments, des sogenannten Erprobungsverfahrens. Solche Verfahren können den Versicherten für begrenzte Zeit Methoden anbieten, die noch umstritten und nicht in der Versorgung sind – vorausgesetzt, der Prozess wird wissenschaftlich evaluiert. Wir waren damals die erste Arbeitsgruppe, die zusammen mit dem Bundesverband der IKK ein solches Erprobungsverfahren zur Akupunktur und Homöopathie wissenschaftlich begleitete. Bald darauf wachten auch die größeren Kassen auf, unter ihnen Barmer und AOK. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings auch die Bundesaufsicht der Krankenkassen alarmiert und erließ eine Anordnung, der zufolge neue
Erprobungsverfahren auf diesem Gebiet nur durchgeführt werden können, wenn die entsprechenden Begleitstudien randomisierte, vergleichende, placebokontrollierte Studien sind.
Aus dieser Vorgeschichte und den entsprechenden Vorgaben entstanden die größten bislang durchgeführten Studien zur Wirksamkeit der Akupunktur. Unter ihnen waren die German Acupuncture Trials (GERAC-Studien) die größten, teuersten und auch provokativsten. Diese drei Studien hatten die
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