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Weg mit den Pillen

Weg mit den Pillen

Titel: Weg mit den Pillen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Walach
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man das nun verstehen, und was lernen wir daraus? Zum Verständnis gibt es mehrere Zugänge, die ich gleich aufzeigen will. Aber wir lernen schon jetzt einmal Folgendes:
    Es kann Therapiemethoden geben, die es extrem schwer haben zu belegen, dass sie mehr sind als ein komplexes Placebo und trotzdem – meinethalben als Placebo – wirksamer sind als das Wirksamste, was die moderne Medizin zu bieten hat. Das ist das Wirksamkeitsparadox. Es ist eigentlich erst durch die Maßnahmen der Komplementärmedizin so richtig in den Blickpunkt geraten. Denn hier gibt es Verfahren (die Homöopathie und die Akupunktur sind Beispiele), die insgesamt eine sehr hohe Erfolgsrate haben, obwohl wir keinen Hinweis darauf haben, dass sich bei ihnen ein spezifisches, therapeutisch aktives Element finden lässt. In den besagten Studien war das Akupunkturplacebo doppelt so wirksam wie die konventionelle Behandlung. Daher ist es auch sachlich, methodisch und argumentativ zu kurz gegriffen, wenn man etwa sagt, ein Verfahren sei unwirksam, denn es sei ja nur ein Placebo. Eine solche Aussage wäre nur dann sinnvoll und aussagekräftig, wenn mit »Placebo« eine feste Größe gemeint sein könnte, eben so eine Art therapeutisches Urmeter, das man anlegen kann. Aber genau dieses gibt es nicht. Daher kann, was in einer Studie als Placeboeffekt so groß ist, dass sich spezifische Effekte davon nicht trennen lassen, in einer anderen Studie (oder gar in derselben) größer sein als eine Behandlung, die sich in einer anderen Studie von einem anderen Placebo mühelos hat unterscheiden können. Dies ist deswegen so,
weil sich die Effektivität von Placebos von Studie zu Studie, von Behandlungsmethode zu Behandlungsmethode verändert. Warum ist das so?
    Wir müssen Folgendes bedenken: In den Placebogruppen klinischer Studien werden mindestens drei Effekte gleichzeitig kontrolliert. Da ist zum einen der natürliche Verlauf einer Krankheit. Kaum eine Krankheit ist so schlimm, dass sie immer nur schlechter wird. Oft gibt es Besserungen, selbst wenn sie nur vereinzelt vorkommen, und manchmal gibt es einfach Schwankungen. Um diesen Effekt der Zeit zu kontrollieren, benötigen wir Kontrollgruppen. Die Placebogruppen klinischer Studien fangen also den Effekt der Zeit ab. Dann haben wir ein zweites Problem. Keine Messung ist perfekt. Unsere Messinstrumente weisen Fehler auf: Labormaße haben Schwankungen, Fragebögen enthalten Ungenauigkeiten. Hinzu kommen statistische Fehler und solche, die entstehen, weil Patienten oder das Fachpersonal versehentlich oder absichtlich falsche Angaben machen. Man geht in einer klinischen Studie davon aus, dass sich all diese Fehler ungefähr gleich über alle Gruppen verteilen, denn die Patienten wurden ja per Zufall auf die Gruppen aufgeteilt. Zu diesen sogenannten methodischen Artefakten kommen jetzt aber noch variable Größen hinzu, die mit der eigentlichen therapeutischen Komponente verbunden sind – das psychologisch-therapeutische Potenzial einer Behandlung. Bei der Therapie mit Antidepressiva ist das etwa der Effekt, der entsteht, weil sich ein Patient gut aufgehoben fühlt, den Eindruck hat, dass endlich einmal jemand etwas für ihn tut, dass jetzt das Ende der Depression nahe ist, weil sich die ganze moderne Medizin kümmert, weil er sich entsprechend entspannt und seine Angst verliert, weil er wieder Hoffnung fassen und eine farbigere Zukunft vor Augen hat. All diese psychologischen Effekte der Selbstheilung werden ebenfalls in den Placebogruppen abgebildet.
    Es kann nun durchaus sein, dass manche Verfahren ein wesentlich größeres Potenzial als andere haben, solche psychologischen Selbstheilungseffekte zu erzeugen. Das dürfte auch bei den GERAC-Studien der Fall gewesen sein. Warum? Weil bei diesen Studien aus
prinzipiellen und ethischen Gründen auch die Scheinakupunktur beschrieben wurde als »eine von zwei möglichen Formen der Akupunktur, von denen wir nicht genau wissen, wie sie wirken«. Das war zum Zeitpunkt, als die Studien durchgeführt wurden, eine durchaus akkurate Beschreibung. Es war damals nicht so recht klar, ob Scheinakupunktur wirklich einen anderen Effekt haben würde als richtige Akupunktur. In den Patienten war also der Eindruck entstanden, egal was passierte, sofern sie in eine der Akupunkturarme gelost wurden, würden sie eine von zwei Formen der Akupunktur erhalten. Damit war schon eine positive »Spur« gelegt. Die Patienten erwarteten eine Akupunkturbehandlung und damit

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