Weg mit den Pillen
vermarktet werden dürfen.
Das ökonomische Einsparpotenzial und das therapeutische Potenzial
der Phytotherapie sind vermutlich größer, als wir denken. Dort, wo es untersucht worden ist (und das ist nur für wenige Pflanzen der Fall), hat es sich bis jetzt bestätigt. Diese Untersuchungen sind teuer und die Hersteller dieser Medikamente sind vergleichsweise kleine Spieler im Spiel ums große Geld durch Gesundheit. Jemand anderes hat kein Interesse, diese Erkenntnisse zu gewinnen. Der Staat fördert solche Untersuchungen praktisch nicht. Die einzigen großen, unabhängigen Phytotherapiestudien der letzten Jahre stammen aus den Vereinigten Staaten und wurden vom National Centre of Complementary and Alternative Medicine gefördert. Fachleute bei uns stufen diese Studien so ein, dass sie dermaßen aufgebaut waren, dass sie eigentlich gar nicht funktionieren konnten. Sie waren meistens negativ und haben oftmals ein Patientenklientel in die Studie eingeschlossen, für das es eigentlich keine Indikation gibt. Kritiker können deshalb immer leicht sagen: »Ja, aber… die Studie xy hat doch gezeigt, dass Johanniskraut nichts bringt…«. In der Tat, in einer dieser Studien, die man stellvertretend erwähnen kann, 96 zeigte sich Hypericum dem Placebo nicht überlegen, und darauf wird immer hingewiesen. Was schnell vergessen wird, ist die Tatsache, dass in der Studie auch ein konventionelles Präparat (ein SSRI) gegen Placebo geprüft wurde. Es war genauso wenig von Placebo unterscheidbar wie Hypericum. Nur spricht darüber niemand. Außerdem wurde das Präparat an relativ schwer depressiven Patienten getestet, die nicht mit dem Klientel vergleichbar waren, für das Johanniskraut normalerweise etwa bei uns in Deutschland angewandt wird. Daher war der Vergleich eigentlich unfair: Eine Substanz wurde an Patienten getestet, für die sie normalerweise nicht verwendet wird. Damit war das Scheitern im Prinzip in den Versuch eingebaut. Ähnliches kann man bei einigen anderen Studien anführen. Man sieht daran sehr leicht, es wird mit zweierlei Maß gemessen.
Wenn man alle verfügbaren Daten leidenschaftslos überblickt, müsste man eigentlich zu dem gleichen Schluss wie der australische Gesundheitsbericht kommen: Eine pharmakologische Antidepressionstherapie (sofern man denn eine solche favorisiert) kann zumindest
bei leichten und mittelschweren Depressionen in der Regel mit Johanniskrautpräparaten billiger und mit weniger Nebenwirkungen durchgeführt werden. Warum setzt sich dieses Wissen nicht durch? Kann es sein, dass hier noch andere Interessen außer dem Interesse an Erkenntnis eine Rolle spielen? Jedenfalls wurde das Australian National Centre of Complementary Medicine wieder geschlossen, weil es keine politische Unterstützung mehr dafür gab. Der oben zitierte Bericht war meines Wissens eine der letzten Aktionen des Zentrums.
Andere Pflanzen, wie Ginkgo zur Förderung der Durchblutung im Gehirn und zur Verbesserung der kognitiven Leistung, Pelargonium-sidoides-Wurzeln bei Infekten, Sägepalme bei vergrößerter Prostata, Teufelskralle bei Schmerzen, um nur die offensichtlichsten zu nennen, haben sich in Studien bewährt. Diese haben die traditionellen Anwendungen bestätigt. Es ist zu erwarten, dass uralte Erfahrung, die sich in den Arzneimittelkunden der einzelnen Völker niedergeschlagen hat, eher öfter bestätigt als widerlegt wird, wenn man sie sorgfältig untersucht. Das Problem ist aus meiner Sicht weniger, dass zu wenig Belege für die beanspruchten Wirkungen vorhanden sind. Dort, wo untersucht wurde, gibt es diese Belege auch. Das Problem ist eher, dass es nur eine kleine Lobby für die Untersuchung dieser Stoffe gibt. Man muss selbstverständlich Sicherheitsstandards einhalten. Denn manchmal enthalten traditionell verwendete Pflanzen auch Stoffe, die leicht krebserregend sind. Das wusste man früher nicht, und es führt natürlich zu Dosierungs- oder Anwendungseinschränkungen. Manchmal muss man auch darauf achten, ob Pflanzen, die aus anderen Ländern importiert werden, mit Schwermetallen oder Schimmelpilzen belastet sind. Denn nicht immer sind die hygienischen Standards, die Aufzucht- und Lagerbedingungen international so gut wie bei uns. Aber das Grundproblem ist aus meiner Sicht Folgendes: Unser gesamtes regulatives System der Arzneimittelzulassung baut auf einem Prinzip auf, das durch die Entwicklung der klinischen Pharmakologie seit den 1940er-Jahren definiert wurde. Es lautet, dass für ein Medikament
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