Weg mit den Pillen
Bildfläche verschwunden – eben weil er nicht funktionierte, obwohl er von sehr mächtigen Kreisen gefördert wurde. Wenn etwas historisch überlebt, obwohl es angefeindet wird, dann steckt in der Regel ein wahrer Kern drin, den es zu entdecken gilt. Welches dieser Kern in der Homöopathie ist, das wissen wir nicht. Funktioniert sie nur als Placebotherapie? Weil sie eben mit so viel Zuwendung und Unterstützung verbunden ist? Das könnte sein, ist aber aus meiner Sicht nicht wahrscheinlich. Wir haben in unseren eigenen Studien gesehen, dass Patienten oftmals eher überrascht bis entsetzt sind, was sie alles an Informationen auspacken sollen, damit das richtige homöopathische Mittel gefunden werden kann. Denn eine gute homöopathische Anamnese macht auch vor schlechten Gewohnheiten, vor sexuellen Vorlieben oder vor psychischen Angst- und Wahnvorstellungen nicht Halt. Zudem fanden wir in unserer Studie keinen Zusammenhang zwischen der Dauer der Konsultation und dem Erfolg der Therapie. 98 Aber auszuschließen ist es nicht, dass das Ganze ein gigantischer Placeboeffekt ist. Handelt es sich dabei vielleicht um eine noch unentdeckte, subtile pharmakologische »Information«, die durch den Herstellungsprozess irgendwie konserviert und dann vom Körper aufgenommen werden kann – so ähnlich wie ein Radiosignal von einem Empfänger mit der richtigen Frequenz empfangen werden kann? Dafür gibt es einige Hinweise, aber sie sind aus meiner Sicht sehr spärlich und inkonsistent. Auch dieser Mechanismus ist denkbar, aber im Moment alles andere als belegt.
Oder ist es vielleicht ganz anders, und es ist bei der Homöopathie ein Prinzip am Werk, das wir überhaupt noch nicht verstanden haben und das eher Ähnlichkeit mit magisch-symbolhaften Prozessen hat? Wenn dem so wäre, dann gäbe es vielleicht eine ganz neue
Kategorie von Zusammenhängen, die zwar klinisch nutzbar sind, die aber unserem bisherigen wissenschaftlichen Zugriff entzogen blieben, weil wir mit unseren Forschungsinstrumenten nur kausalmaterielle Ursachen isolieren können. Dann wäre die homöopathische Arznei mehr so etwas wie ein symbolisches Siegel, das einen therapeutischen Zusammenhang zwischen Therapeut, Arzneisubstanz und Krankheit dokumentiert. Dies ist zugegebenermaßen ein sehr ungewöhnliches Modell, von dem ich allerdings überzeugt bin, dass es die momentane Situation des gesamten wissenschaftlichen Befundes besser einfängt als alle anderen. 99
Ein paradoxer Befund, den dieses Modell verständlich machen kann, ist folgender: Es ist extrem kompliziert, in experimentellen Untersuchungen zu belegen, dass homöopathische Substanzen sich von Placebo unterscheiden lassen. Das ist zwar nicht ganz unmöglich, aber wirklich sehr schwierig. Wir haben in letzter Zeit einige Daten vorgelegt, die zeigen, dass zumindest unter bestimmten Bedingungen homöopathische Substanzen bei gesunden Freiwilligen Symptome produzieren, die von Placebo verschieden sind. 100 Aber wir sehen auch immer wieder – vor allem an wiederholten Untersuchungen derselben Art –, dass sich anfänglich deutlich sichtbare Effekte wieder verlieren oder gar ins Gegenteil umschlagen. Warum ist das so? Wenn man Aspirin oder SSRI untersucht, findet man ebenfalls hin und wieder negative Befunde, aber im Großen und Ganzen wird man am Ende eine positive Effektstärke finden, auch wenn sie klein ist. Das ist bei homöopathischen experimentellen Untersuchungen oftmals nicht so. Hängt das am Ende damit zusammen, dass es hier gar keine stabile, kausale Pharmakologie gibt, sondern eher so etwas wie einen therapeutischen Gesamtkontext, innerhalb dessen die Arznei wirkt? Wenn dieser jedoch durch eine experimentelle Studie zerschnitten wird, dann kann sie eben nicht mehr wirken.
Das könnte durchaus so sein. Das hieße dann aber auch, dass die Standardmethode zur Untersuchung pharmakologischer, kausaler Effekte bei der Untersuchung der Homöopathie nur in Grenzen funktionieren kann. Und das ist das Dilemma, in dem wir uns befinden.
Wir haben eine Therapiemethode vor uns, die im klinischen Alltag hervorragend funktioniert und sehr gute Effekte erzeugt. Das belegen Dokumentationsstudien an großen Patientenzahlen, die zeigen, dass selbst solche Patienten, die vorher alles Mögliche versucht haben, von homöopathischer Therapie gut profitieren. 101 Wo untersucht, zeigt sich Homöopathie auch als kostensparend. Doch es bleibt extrem schwierig nachzuweisen, dass diese Effekte von Placebo verschieden sind.
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