Weg mit den Pillen
Verdünnungsverhältnis) und 30 für die Anzahl, wie oft der Verdünnungsvorgang durchgeführt wurde. Hahnemann stellte in seiner klinischen Erfahrung fest: Diese Arzneien wirkten noch viel besser als die weniger stark verdünnten. Er verkündete, hinfort solle man doch solche höheren Verdünnungen nehmen, vor allem, wenn die Krankheit schwer sei. Später entwickelte er dann noch andere Potenzreihen – aber diese Spezialitäten sparen wir uns jetzt.
Ununterbrochen experimentierte er, schlief wenig, schrieb viel. Alle möglichen Pflanzen und Stoffe, derer er habhaft werden konnte, probierte er auf diese Weise aus und entwickelte so seine Arzneimittellehre immer weiter. Denn im homöopathischen System muss es möglichst viele einzelne Arzneien geben, um den vielen individuellen Krankheitsbildern gerecht zu werden. Nicht die Krankheitseinheit allein, zum Beispiel Migräne, bestimmt die Therapie, sondern nur das Gesamtbild aller Symptome eines Menschen. Und diese Konstellation ist immer höchst individuell.
Hahnemann wurde in seiner Zeit mit seiner Methode sehr bekannt und sehr umstritten. Berühmte Leute ließen sich von ihm behandeln. Den Feldmarschall Radetzky heilte er von einem Augentumor, den Teufelsgeiger Paganini von einer sehr peinlichen und schmerzhaften Dauererektion des Penis, und so manche Größen seiner Zeit suchten bei ihm Behandlung, genauso wie die einfachen Leute. Er löste viel Widerspruch aus, weil er sehr dogmatisch war und die Meinung verkündete, nur seine Lehre sei die wahre. Aufgrund seines Naturells zerstritt er sich mit allen Mächtigen in der medizinischen Welt, verbaute sich den Weg in die Hochschule und schmollte und grollte Zeit seines Lebens gegen die »Schulmedizin« – ein Kampfbegriff, den er erfunden hatte.
Was vor allem ein Stein des Anstoßes war, war die Verwendung der hohen Verdünnungen oder Potenzen. Schon seine Zeitgenossen
lästerten darüber, aber eher deswegen, weil damals eben die Doktrin galt, dass man bei schweren Krankheiten nur mit ganz viel, und nicht mit ganz wenig, etwas ausrichten könne. Um die Zeit von Hahnemanns Tod 1843 wurde allmählich bekannt, dass ein Mol eines beliebigen Stoffes (ein Mol ist die Basiseinheit der Stoffmenge) etwa 10 23 Moleküle enthält. Das ist eine Zehn mit 23 Nullen hintendran. Wenn man aber die Hahnemannsche Potenz C30 umrechnet, dann kommt man auf eine Verdünnung im Verhältnis – 1:10- 60 – das ist 1/10 mit 60 Nullen hinter der 10. Das heißt, eine solche Potenz kann (zumindest statistisch gesehen oder im Durchschnitt) gar keine Moleküle mehr enthalten. Und dennoch behaupten die Homöopathen, das würde wirken. Wie offenkundig absurd! Dieser Disput beherrscht die Debatte noch heute. Weil wir keine gute Theorie haben, wie so etwas funktionieren kann, deswegen werden die Erfahrungsbefunde ignoriert.
Nun hat sich die Homöopathie über die ganze Welt verbreitet. In Indien ist sie neben Ayurveda das zweite Standbein der großen Volksmedizin und wird viel gelehrt und praktiziert. In den USA war sie praktisch ganz ausgestorben, wurde aber in den 1960er-Jahren wiederbelebt, sodass es dort nun eine relativ große Gemeinde gibt. In Südamerika ist die Homöopathie sehr populär, und in Deutschland und Frankreich sowieso. Ich sagte es oben schon: Ihre Verbreitung in Europa verdankt die Homöopathie vor allem der Tatsache, dass sie bei der Bekämpfung der Cholera so erfolgreich war. Das Wesentliche jedoch, so hatten wir gesehen, war dabei aber weniger die Therapie an sich, sondern das Weglassen schädlicher Handlungen, wie Aderlass und Trinkverbot.
Was genau wie an der Homöopathie wirkt, ist unklar. Klar ist, dass etwas wirkt. Denn sonst wäre die Homöopathie nicht gegen den enormen Widerstand vonseiten der Hochschulmedizin und der konventionell eingestellten Mediziner immer wieder auferstanden und würde nicht so hoch in der Gunst der Verbraucher stehen. Das ist ein simples historisches Argument, an dem man nicht vorbeisehen kann. Zu der Zeit, als Hahnemann seine Lehre entwickelte, war der Brownianismus viel populärer. Er wurde von Geistesgrößen
wie dem Philosophen F. W. J. Schelling und anderen Intellektuellen gelobt und vertreten. Der schottische Arzt John Brown (1735 – 1788), der Begründer des Brownianismus, vertrat ein etwas bizarres Krankheitskonzept und leitete therapeutische Ratschläge logisch aus dieser Theorie ab. Es gab keine Erfahrungswerte dazu, nur die reine Theorie. Dieser Brownianismus ist komplett von der
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