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Wege des Herzens

Wege des Herzens

Titel: Wege des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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heftig.
     
    Eine Woche später waren Aidan und Nora in einem ihrer Lieblingsantiquariate; jeder stöberte für sich in den Regalen, als Noras Blick plötzlich auf Aidan fiel. Er griff sich gerade an den Hals und schien Probleme zu haben, Luft zu bekommen.
    »Aidan?«, rief sie.
    »Tut mir leid, es ist so stickig hier.«
    »Überhaupt nicht – vom Kanal weht sogar ein laues Lüftchen herüber.«
    »Ein laues Lüftchen?«, fragte er geistesabwesend.
    »Du weißt schon – ein Wind, der dich sanft umschmeichelt …« Nora lächelte.
    Aidan erwiderte ihr Lächeln nicht.
    Jetzt war Nora ernsthaft besorgt. »Geht es dir nicht gut?«
    »Ich kann nicht mehr richtig atmen«, keuchte er. »Ach, Gott, Nora, ich hoffe, ich falle jetzt nicht in Ohnmacht.«
    »Ach, Unsinn, du fällst doch nicht in Ohnmacht. Setz dich lieber mal hierher.« Wie immer reagierte Nora schnell und überlegt und wandte sich sofort an den Besitzer des Buchladens.
    »Wo ist hier das nächste Krankenhaus?«, fragte sie ihn.
    »Das St. Brigid. Gibt es ein Problem?«
    »Ich glaube, mein Mann hat einen Herzanfall. Ist hier ein Taxistand in der Nähe?«
    »Nicht nötig, ich fahre Sie hin«, bot er an.
    Nora widersprach nicht; sie hatte später Zeit genug, sich zu bedanken.
    »Komm, Aidan, Dara nimmt uns mit«, sagte sie.
    »Wohin?«, stieß er hervor.
    »Dorthin, wo man dir hilft, wieder normal zu atmen, mein Schatz« erwiderte sie.
    Und Aidan schloss erleichtert die Augen.
     
    In der Notaufnahme des St. Brigid Hospitals führten die Krankenschwestern Aidan wortlos in eine Behandlungskabine. Dort verabreichten sie ihm Sauerstoff und verständigten den diensthabenden Arzt.
    »Ziehen Sie ihm die Hose aus«, bat der Arzt.
    »Wie bitte?« Nora war entsetzt.
    »Bitte, Madam.« Der chinesische Arzt war sehr höflich. »Er hat Wasser in der Lunge, wir müssen ihn punktieren, und dazu müssen wir einen Katheter setzen …«
    Nora erklärte Aidan die Situation.
    »Das ist aber komisch – ich habe gar nicht das Gefühl, auf die Toilette zu müssen«, meinte er.
    Allmählich wirkte der Sauerstoff, und Aidan wurde wieder ruhiger. Noras Blick fiel auf einen großen Behälter, der sich langsam mit einer, wie ihr schien, Unmenge an Flüssigkeit füllte.
    »Wie konnte so etwas passieren?«, fragte sie.
    »Das Herz ihres Mannes schafft es nicht mehr, das Blut durch den Körper zu pumpen«, erklärte der chinesische Arzt. »Sein Herz versagt seinen Dienst.«
    Nora spürte, wie jede Kraft aus ihr wich. Das Herz des Mannes, den sie liebte und der auch sie liebte, ließ ihn im Stich. Damit war es vorbei mit dem Leben, wie sie es kannten.
     
    Ungefähr eine Stunde später fühlte Aidan sich wieder so wohl, dass er nach Hause gehen wollte. Überrascht stellte er jedoch fest, dass man im St. Brigid Hospital bereits ein Bett für ihn vorbereitete.
    »Aber mir geht es wieder bestens«, protestierte er.
    Nora fuhr nach Hause, um ein paar Schlafanzüge, einen Morgenmantel und Aidans Kulturbeutel für ihn zu holen. Äußerlich blieb sie ruhig und zuversichtlich, aber innerlich fühlte sie sich, als hätte sie jeden Lebenswillen verloren.
    An die nächsten paar Tage erinnerte sich Aidan nur schemenhaft: an Visiten des Chefarztes und an seinen jungen Assistenten mit Klemmbrett; Schwestern und Pfleger gaben sich die Klinke in die Hand. Besucher mit ängstlichen Gesichtern traten zögernd ins Krankenzimmer, unter ihnen auch Nora Dunne, groß, mit blitzenden Augen, das lange, rote Haar mit den grauen Strähnen von einem schwarzen Band zusammengehalten.
    Sie setzte sich zu Aidan ans Bett und spielte Schach mit ihm. Bei aufmerksamer Beobachtung wäre aufgefallen, dass sie nie über häusliche Dinge wie Rechnungen, Reparaturen oder Besorgungen sprachen. Auch Nachbarn, Familie oder Freunde waren kein Gesprächsthema für sie. Sie lebten in ihrer eigenen Welt. Und hätte man noch genauer hingesehen, hätte man bemerkt, dass Nora sich wie ein Roboter bewegte und sich nur Aidans wegen entspannt und zuversichtlich gab.
    Vor seiner Entlassung eine Woche später redeten ihm die Ärzte eindringlich ins Gewissen, den Stress in seinem Leben zu reduzieren. Als Aidan ihnen von seiner Arbeit in der Mountainview-Schule erzählte, gab ihm der Kardiologe den ernsthaften Rat, seinen Lehrerberuf aufzugeben.
    Doch Aidan weigerte sich, auch nur darüber zu reden. Er würde gewissenhaft seine Medikamente nehmen und sich jeden Tag längere Ruhepausen gönnen, aber seinen Beruf würde er auf keinen Fall

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