Wege des Herzens
das für ein Geschrei dort oben?«, wollte Gerry von Adi wissen.
»Das ist das echte Leben, Gerry«, erwiderte sie. »Das ist die Welt der Menschen, die nix zustande bringen, die für andere nix übrighaben und die mit Scheuklappen durchs Leben laufen.«
»Das liegt nur am roten Fleisch«, meinte Gerry. »Es kann nichts Gutes bringen, wenn man schon am Nachmittag tote Kühe isst.«
Als Adi am nächsten Morgen zum Frühstück herunterkam, war Clara bereits gegangen. Es sah nicht so aus, als ob sie etwas gegessen hätte, und sie hatte auch keine Notiz hinterlassen, welche Pläne sie für den Abend hatte. Der Streit gestern Abend musste ernsthafter gewesen sein, als er geklungen hatte. Adi ging wieder nach oben, um Linda zu wecken, die darüber alles andere als erfreut war.
»Kaum macht man in diesem Haus ein Auge zu, kommt schon die Nächste angestürmt und jammert einem die Ohren voll«, beschwerte sie sich, während sie versuchte, die Augen aufzukriegen.
»Was ist los mit Mam?«
»Gott, woher soll ich das wissen? Gestern Abend hat sie sich aufgeführt wie eine Furie und mir Vorhaltungen gemacht, dass ich keine Polin bin, dass ich nichts für das neue Badezimmer zahle, dass ich noch immer studiere. Sie hat fast die Tür aus den Angeln gerissen. Ich würde sagen, sie ist etwas durcheinander.«
»
Worum
ging es gestern Abend, Linda?«
»Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Vielleicht ärgert sie sich, weil Dad Cinta heiraten will.«
»Sie liebt Dad doch gar nicht mehr.«
»Woher sollen
wir
wissen, wen sie liebt. Sie ist doch total verwirrt. Aber würdest
du
mich jetzt bitte allein und weiterschlafen lassen?«
»Was ist mit deinen Vorlesungen?«
»Ach, Adi, in Gottes Namen, geh endlich in deine Schule und vergifte dort die Gemüter junger Menschen, ja?«
Linda hatte sich schon wieder tief in ihr Bett gekuschelt. Adi zuckte die Schultern und ließ ihre Schwester allein. Hier war keine weitere Information für sie zu holen.
Ania saß wartend vor der Tür des Herzzentrums.
»Haben Sie das ernst gemeint, Madam?«
»Und ob ich das ernst gemeint habe, Ania. Ich werde Ihnen heute einen Schlüssel nachmachen lassen, damit Sie morgen vor mir ins Büro können.«
»Sie wollen
mir
einen Schlüssel für die Klinik geben?« Ania staunte nicht schlecht.
»Sicher, dann können Sie schon mal Kaffee kochen, bis ich komme.«
»Bekommen wir denn eine Kaffeemaschine?«, fragte Ania aufgeregt.
»Ja, die muss heute kommen. Gehen Sie jetzt in die Fußgängerzone und besorgen Sie uns zwei große Becher Kaffee und irgendwas zum Frühstück mit ganz viel Zucker, damit wir Energie bekommen: ein Croissant, einen Donut, irgendetwas. Für jeden eines.«
»Das ist eine wunderbare Arbeit«, sagte Ania und machte sich gehorsam auf den Weg.
Wieder verging der Tag wie im Flug; die Bauarbeiter und Handwerker waren eine lustige Truppe und arbeiteten schnell. Bald begannen Claras Pläne Gestalt anzunehmen. Ihr Schreibtisch wurde ins Zentrum des Geschehens gerückt, von wo aus sie ein Auge auf alles haben konnte. Nur die Schwesternstation wartete noch darauf, von der Firma General Medical Supplies entsprechend ausgestattet zu werden. Die speziellen Krankenbetten waren bereits geliefert worden, so dass man die kleinen Kabinen mit den Vorhängen einrichten konnte, die Clara ausgesucht hatte. Das Wartezimmer war gestrichen und mit Regalen bestückt, in denen später Infobroschüren über Herzerkrankungen bereitliegen sollten. Jetzt fehlten nur noch ein Wasserspender für die Patienten und eine Kaffeemaschine.
Lavenders Raum war mit allem eingerichtet, was sie als Diätassistentin benötigte; ihre Personenwaagen würden am Nachmittag geliefert werden, zusammen mit einer Waage für die Schwesternstation.
Nur der Raum für die Physiotherapie war noch leer und jungfräulich; seine Ausstattung würde davon abhängen, was Johnny und Clara der Verwaltung an Mitteln entlocken könnten. Clara war sehr zufrieden mit den bisherigen Fortschritten. Sie würde diesem Frank beweisen, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Überrascht blickte sie auf, als Ania ihr um die Mittagszeit ein Sandwich mit Salat und einen weiteren Kaffee brachte.
»Das zahle ich aber selbst«, sagte sie.
»Nein, Madam, Sie haben mir gestern so viel Geld gegeben. Heute zahle ich
Ihnen
das Mittagessen.«
Dabei sah sie so stolz und zufrieden aus, dass es Clara fast das Herz zerriss und sie sich umso mehr über ihre eigene faule Tochter ärgerte, die um diese Zeit
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