Wege des Herzens
mal an ihrem Schreibtisch saß und gerade an sie dachte.
»Bist du im Stress?«, fragte Fiona.
»Nicht wirklich. Ich räkle mich im Liegestuhl, habe die Beine hochgelegt und nippe an einem Tequila Sunrise«, feixte Barbara.
»Okay, dann hast du also gerade Pause von deinen Patienten. Wer ist denn alles da?«
»Lass mich mal überlegen. Der liebe Mr.Walsh, die griesgrämige Kitty, ein paar neue Leute. Und diese nette Frau mit den kläffenden Kötern kommt morgen wieder.«
»O ja, das ist Judy, aber wenigstens hat sie diese wuseligen Jack-Russell-Terrier. Das ist doch besser als gar nichts, findest du nicht?«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, meinte Barbara gedämpft.
»Und was ist mit deinen guten Vorsätzen?«, erkundigte sich Fiona.
»Heute hat es zu Mittag nur einen Apfel gegeben. Aber was anderes, du wirst es nicht glauben. Du erinnerst dich doch, dass ich mir geschworen habe, Kitty Reilly heute entweder einzubläuen, welche Tabletten sie nehmen muss, oder aber sie zu erdrosseln?«
»Ja, und hast du es getan?«
»Nein, der neue Doktor hat sie zuerst in die Finger bekommen. Sie hat tatsächlich gewusst, welche die Beta-Blocker und welche die Herztabletten sind. Und dann hat sie mir die Diuretika erklärt, also ob ich nicht ganz dicht im Kopf wäre.«
»Na, das muss aber ein Kaliber sein, der neue Doktor.«
»Das ist ein ganz netter Typ. Er heißt Declan.«
»Gut, ich werde ihn ja morgen kennenlernen. Aber jetzt muss ich los. Gleich gibt es Hummer satt. Auf den will ich auf keinen Fall verzichten.«
»Hummer?«, rief Barbara. »Mit viel dicker Mayonnaise? Oder mit zerlassener Butter? Gott, ich liebe Hummer.«
In dem Moment kam Declan vorbei und hörte ihre letzte Bemerkung. »Hummer? Nein, der schmeckt Ihnen bestimmt nicht, Barbara. Der ist nichts für Sie. Wabbeliges Fleisch, triefend vor Fett – denken Sie an Ihre guten Vorsätze.«
»Gott, wer war das denn?«, flüsterte Fiona.
»Der Neue. Du lernst ihn morgen kennen.«
»Kann’s kaum erwarten«, sagte Fiona und legte auf.
Declan war auf dem Nachhauseweg. Seine Route führte ihn durch einige der sich am schnellsten verändernden Viertel der Stadt, und er staunte immer wieder aufs Neue über den einen oder anderen Aspekt, der ihm zuvor nicht aufgefallen war. Dabei kam er auch an einem Wochenmarkt vorbei, auf dem früher Kohlköpfe und Kartoffeln verkauft wurden, jetzt aber Menschen aus aller Herren Länder indische Seidenstoffe und exotische Gewürze anboten. Daneben erhob sich ein riesiger Wohnblock mit Luxusapartments, der plötzlich dort aus dem Boden gestampft worden war, dort, wo sich zuvor – ja, was? Declan konnte sich nicht mehr daran erinnern. Aber er verspürte das übliche Triumphgefühl, dass er sich schneller vorwärtsbewegte als der fast zum Erliegen gekommene Verkehr, und dann war er schon zu Hause im St. Jarlath Crescent.
Seine Eltern strahlten vor Freude, ihn zu sehen, und stellten ihm allerhand Fragen zu seinem ersten Tag, als sie gemeinsam am Tisch saßen. Um sie zufriedenzustellen, schmückte Declan seine Rolle aus. Beiläufig erkundigte er sich bei seiner Mutter nach Padre Pio, die ihm daraufhin mehr erzählte, als ihm lieb war. Dann fragte er seinen Vater, wie sein Tag an der Fleischtheke gewesen sei. Paddy Carroll zuckte nur die Schultern. Wie jeder andere Tag auch, sagte er, erst ein riesiger Ansturm, bei dem alle gleichzeitig etwas von ihm wollten, dann lange Zeit Flaute ohne einen einzigen Kunden. Declan ließ sich seine beiden Lammkoteletts und die Dosenerbsen schmecken. Dabei musste er an die lustige Krankenschwester denken, die sich mit ihrer Freundin lachend über den Hummer unterhalten hatte. Er bedauerte es sehr, kein spannenderes, geschweige denn überhaupt ein Privatleben zu haben. Er sah bereits auf sich zukommen, dass er und seine Eltern für immer und ewig hier in diesem Haus zusammenwohnen würden – mit einer einzigen Veränderung. Irgendwann würde er die Mahlzeiten für sie alle drei kochen, weil sie dazu nicht mehr imstande wären.
Am nächsten Morgen fuhr Declan wieder mit dem Rad in die Klinik. Dieses Mal sah er dem Tag bereits wesentlich gelassener entgegen, und heute kannten ihn auch schon alle beim Namen. Langsam füllte sich der helle, freundliche Warteraum mit Patienten, sie sich angeregt unterhielten.
Declans erster Patient war eine Frau namens Judy Murphy, die ihm sofort erklärte, dass sie keinerlei wie auch immer geartete Probleme habe. Ihr würde es bald wieder gutgehen,
Weitere Kostenlose Bücher