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Wege des Herzens

Wege des Herzens

Titel: Wege des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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auf, wie sie es ihrer Mutter beschrieben hatte. Sie sah den Menschen jetzt in die Augen. Es gab nichts, wofür sie sich entschuldigen müsste.
    Das erkannten in dem Moment alle, vor allem Marek, der unwirsch die Hände abschüttelte, die ihn festhalten wollten.
    »Ist schon gut, ich gehe ja«, sagte er wütend. Dann drehte er sich zu Ania um und fügte mit gepresster Stimme hinzu: »Ich habe dich geliebt. Das ist mein Ernst …«
    »Leb wohl, Marek«, sagte Ania, wie auch schon vor vielen Monaten, an dem Abend, bevor sie Polen verlassen hatte. Doch dieses Mal war es ihr bitterernst.
    Ania spürte, dass sie eine zweite Chance auf einen Neuanfang bekommen hatte. Sie fühlte sich wie reingewaschen, wie früher nach einer Beichte. Ihr Englisch war mittlerweile gut genug, um auch hier in diesem Land zur Beichte gehen zu können. Vielleicht würde sie sich an diesen netten Father Flynn wenden, am besten noch diese Woche.

[home]
    KAPITEL FÜNF
    B rian Flynn hatte nicht gewusst, was auf ihn zukam, als der neue polnische Priester in Rossmore eintraf. Ganz sicher hatte er nicht damit gerechnet, einen guten Freund in ihm zu finden.
    Tomasz war ein fröhlicher, optimistischer junger Mann, der bereitwillig in der Pfarrei mit anpackte. Er war die Art von Priester, wie Brian noch vor zwanzig Jahren selbst einer gewesen war, einer, der glaubte, dass alles möglich war, wenn nur ausreichend guter Wille vorhanden war. Heutzutage war Brian davon nicht mehr überzeugt. Die Menschen schienen die Kirche nicht mehr zu brauchen. Weshalb sollte er also weiterhin versuchen, eine Brücke zwischen Gott und den Gläubigen zu bauen?
    Abgesehen von ein paar alten Leuten, besuchte kaum jemand noch die Frühmesse, die er täglich um zehn Uhr abhielt. Früher einmal war das der Start in den Tag für die Frauen gewesen, die danach ihre Einkäufe erledigten, und auch die Verkäuferinnen machten während ihrer Pause auf eine Viertelstunde halt in seiner Kirche. Schulmädchen, die um gute Noten oder einen gutaussehenden Freund beteten, kamen und zündeten eine Kerze an, die Eltern kranker Kinder wandten sich um Hilfe an ihn, und die Mühseligen und Beladenen suchten in seiner Kirche ihren Frieden.
    Doch wo waren sie jetzt? Entweder oben bei der Quelle, im Zwiegespräch mit der heiligen Anna, oder damit beschäftigt, ihr Leben aus eigener Kraft auf die Reihe zu bekommen. Wenn das stimmte und die Leute tatsächlich allein zurechtkamen, dann sollte er sich eigentlich für sie freuen – und der liebe Gott auch, dachte Father Brian Flynn. Weshalb ein Ritual aufrechterhalten, wenn es niemand mehr brauchte?
    Doch mit diesen Gedanken geriet man in gefährliche Nähe zur Ketzerei. Dann wäre der Schritt nicht mehr weit zu der Schlussfolgerung, dass die Kirche keine Rolle mehr spielte, wenn es um das Seelenheil der Menschen ging. Und diesen Weg wollte Brian Flynn wahrhaftig nicht beschreiten. Neidvoll sah er zu, wie der junge Father Tomasz sich abmühte und Prozessionen organisierte, an denen kaum jemand teilnahm, oder Feste, die größtenteils ignoriert wurden.
    Und so vergingen die Tage. Jeden Morgen besuchte Father Brian Flynn seine Mutter, die im Haus von Neddy Nolan lebte. Neddy und Clare, die eine kleine Tochter hatten, brachten das Kunststück fertig, sich nicht nur um seine alte Mutter, sondern auch noch um den betagten Kanonikus, den ehemaligen Stadtpfarrer, und um zwei geistig verwirrte Brüder zu kümmern, die früher einmal, bevor die Umgehungsstraße den ganzen Ort verändert hatte, in einem Gartenzentrum gearbeitet hatten. Seitdem hatten die beiden Brüder Neddys und Clares Garten vollkommen umgekrempelt, und ganz Rossmore beneidete sie mittlerweile darum. Nebenbei arbeitete Clare noch immer als Lehrerin in der örtlichen Klosterschule.
    Es waren Menschen dieses Schlages, die an die Stelle der Kirche getreten waren. Das sagte Brian Flynn manchmal zu Tomasz, wenn sie abends eine Partie Schach spielten. Tomasz war nicht dieser Ansicht. Menschen wie die Nolans hätten die Kirche nicht ersetzt, sondern seien eine Bereicherung für sie, und darüber sollte man sich freuen und nicht lamentieren.
    Tomasz lernte jeden Abend drei neue Wörter auswendig. Vor allem das Wort
Schwachkopf
hatte es ihm angetan.
    »Was bedeutet das genau, Brian?«, wollte er wissen.
    Wie so oft in diesen Tagen war Brian Flynn mit seinem Latein bald am Ende. »Der Kerl ist eben ein Blödmann. Das heißt, dass er nicht viel im Hirn hat.«
    »Ja, ist er denn geisteskrank?

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