Wege des Herzens
viel geschickter darin, die Wörter seiner Sprache zu erklären, als Brian das mit Englisch konnte. Je mehr Wochen vergingen, desto stärker hatte Brian das Gefühl, dass seine neue Arbeitsplatzbeschreibung eher der eines Sozialarbeiters als der eines traditionellen Priesters und Seelsorgers entsprach.
Was nicht unbedingt schlecht war. Denn wenn man am Ende des Tages dabei geholfen hatte, jemandem eine Wohnung zu verschaffen, den Unterhalt für ein Kind zu sichern oder dafür zu sorgen, dass einem Arbeiter der Mindestlohn bezahlt wurde, dann war das oft ein besseres Gefühl, als Gott Gebete offeriert zu haben für etwas, das gewiss niemals eintreten würde. Hätte Father Brian jedoch die optimistische Einstellung von Father Tomasz gehabt, hätte er den Wert und die Vorzüge beider Ansätze gesehen.
Einmal in der Woche bestieg er den Zug nach Rossmore, um seine Mutter zu besuchen, doch im Lauf der Zeit erkannte sie ihn immer seltener. Neddy beruhigte ihn jedoch, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte, er würde Dr.Dermot umgehend anrufen, falls ihr Zustand sich weiter verschlechtern sollte. In der Zwischenzeit lebte Mrs.Flynn glücklich und zufrieden in ihrer frühen Jugendzeit und hoffte darauf, dass der nette junge Mann, den sie bei einem Tagesausflug auf die Isle of Man kennengelernt hatte, sich bald bei ihr melden würde.
»War das Ihr Vater, Brian?«, fragte Neddy freundlich, wie immer von dem Wunsch nach einem Happy End beseelt.
Brian wusste, dass sein Vater nie auf der Isle auf Man gewesen war, aber er war lieber freundlich als ehrlich. »Ganz recht«, sagte er und sah, wie Neddys Lächeln sich vertiefte.
Brian wurde regelmäßig von Neddy über die Ereignisse zu Hause auf dem Laufenden gehalten, nicht nur darüber, dass seine Mutter eine immer größere Vorliebe für die Quelle der heiligen Anna entwickelte. Er erfuhr auch alles über seine Schwester Judy, die Skunk Slattery geheiratet hatte. Manchmal bekam er Briefe von ehemaligen Gemeindemitgliedern, die sich bei ihm für das bedankten, was er in der Vergangenheit für sie getan hatte, und die ihn auf den neuesten Stand brachten, was die wundersame Enthaltsamkeit ihrer ehemals trinkenden Ehemänner, Versöhnungen in lieblosen Ehen und die Erfolge einst ungebärdiger Kinder betraf, die ihre Ausbildung wieder aufgenommen hatten. Doch weitaus öfter wurde dieses Verdienst der heiligen Anna und ihrer blödsinnigen Quelle zugeschrieben.
Brian lernte bei seinen Joggingrunden mit Johnny mehr über Dublin, als er sonst jemals irgendwo erfahren hatte. Wenn er, nach Luft schnappend, stehen blieb, entdeckte er kleine Standbilder oder Denkmäler, die ihm bisher entgangen waren. Und er stellte fest, dass es in dieser großen, reichen, leuchtenden Stadt voller Glamour und Hektik auch große Einsamkeit gab. Er empfand tiefe Sympathie für die jungen Osteuropäer, die sich, auf der Suche nach Gesellschaft in diesem fremden Land, aneinanderklammerten. Dabei lernte er, alle möglichen fremdartigen, ungewohnt gewürzten Speisen zu schätzen, und verblüfft hatte er entdeckt, welche Köstlichkeiten man aus Kohl und Fleischbällchen zaubern konnte. Brian Flynn, für den zwei Scheiben Fleisch, zwei gekochte Kartoffeln und ein paar wässrige Karotten bereits das Höchste an kulinarischen Genüssen gewesen waren, wurde auf dem Gebiet immer wagemutiger. Und Freundschaften konnte man dabei auch noch schließen.
Johnny hatte ihm Ania, eine junge Polin, vorgestellt, die in derselben Herzklinik arbeitete, in der er als Physiotherapeut tätig war. Ania nähte die Vorhänge für Father Flynns Wohnung, wollte aber kein Geld dafür. Einem Priester einen kleinen Gefallen zu erweisen sei Ehre genug, sagte sie. Jede Arbeit sei es wert, belohnt zu werden, konterte Brian daraufhin sinngemäß mit den Worten des Herrn. Und der Herr sei in der Tat gut zu ihr gewesen, erwiderte Ania und erzählte, wie sie auf einem Parkplatz diese Ärztin kennengelernt hatte. Jetzt arbeitete sie in ihrer Klinik, verdiente gutes Geld und hatte eine bedeutende Position inne, die ihr das Gefühl gab, alles tun zu können, was sie wollte, und diejenige sein zu können, die sie sein wollte. Manchmal kam Ania auch zu den Vortragsabenden, die Brian veranstaltete und zu denen er unterschiedliche irische Persönlichkeiten einlud, damit sie vor den neuen Mitbürgern über ihr Land sprachen.
Laut Ania wussten die Leute diese Abende aus den unterschiedlichsten Gründen zu schätzen. Manche hatten echtes Interesse
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