Wege im Sand
Shakespeare-Zitat, dass die Hölle keinen größeren Zorn kennt als den einer verschmähten Frau, oder so.«
»Tut mir Leid, wenn sie es so aufgefasst hat.« Jack kam sich wie ein Verräter vor. Sich mit Jim über Francesca zu unterhalten – der, so nett er sonst auch sein mochte, etwas suchte, womit er zum Büroklatsch beitragen konnte – würdigte sie herab. Das hatte er nicht gewollt.
»›Männer sind Abschaum‹, pflegte mein Bruder zu sagen«, meinte Jim.
»Ich hoffe nicht. Ich habe schließlich eine Tochter.«
»Na ja. Wir schaffen es zumindest immer, im ungünstigsten Augenblick alles zu vermasseln. Meine Frau wird dich mit dem größten Vergnügen aufklären. Sie bewohnt unser Traumhaus, von mir entworfen und gebaut, während ich auf der Couch meines Bruders nächtigen muss.«
»Was hast du angestellt?« Ihre Schritte klangen laut, als sie durch Laub und Unterholz stapften.
»Ich habe mich Online verliebt. Janice hat mein Passwort geknackt und meine E-Mails gelesen.«
»So ein Pech.«
»Welcher Teil?«
»Alles, von A bis Z«, sagte Jack. E-Mails waren gefährlich.
Seine Gedanken nahmen eine unverhoffte Wendung, kehrten nach Atlanta zurück, in die Zeit unmittelbar vor Emmas Tod. Zu dem Zeitpunkt war es ihm nicht bewusst gewesen, doch nun wurde ihm klar, dass ihn damals ein Gefühl der Rastlosigkeit ergriffen hatte – was nicht nur an ihr lag. Verheiratet zu sein war wie Schwimmen. Manchmal lief alles glatt, herrschte eitel Sonnenschein, doch dann geriet man plötzlich in eine kalte Strömung, die den Wunsch weckte auszusteigen, dem kalten Wasser zu entfliehen.
Während einer dieser kalten Strömungen hatte er angefangen, per E-Mail mit einer Kollegin aus der Niederlassung seiner Firma in Cleveland zu kommunizieren. Hatte er gespürt, was mit Emma los war? Sie engagierte sich mehr und mehr in der Kirche, war ehrenamtlich im Gefängnis tätig. Ein Umstand, der ihm nun gelegen kam – um seine eigene Heimlichtuerei zu rechtfertigen.
Die E-Mails waren anfangs völlig harmlos gewesen – es ging ausschließlich um ein Hängebrücken-Projekt in Cincinnati, an dem sie beide arbeiteten. Die Kollegin war schlagfertig und warmherzig. Jack fühlte sich vernachlässigt und unwillkommen. Die geschäftlichen E-Mails hatten zu einem Austausch auf privater Ebene geführt. Er erinnerte sich an Tage, wo er noch vor Morgengrauen aufgestanden war, nur um zu sehen, ob sie ihm während der Nacht eine Nachricht geschickt hatte.
»Lief da was zwischen euch?«, erkundigte sich Jack nun bei Jim, als sie über einen schmalen Bach sprangen. »Ich meine, mit deiner E-Mail-Flamme.«
»Ja. Deshalb bin ich ja rausgeflogen. Ich hatte es verdient.«
Wenigstens hatte Jack es bei den Mails belassen. Dennoch dachte er an jene Wochen zurück – in denen er sich von seiner eigenen Ehe distanziert hatte, verführt von der Online-Intimität mit einer Frau, die er kaum kannte. Dass er sich überhaupt daran erinnerte, verblüffte ihn; seit Emmas Tod hatte er sich große Mühe gegeben, seine Ehe zu verklären. Mit den Anrufen bei Madeleine, als er ihre Stimme hörte, hatte er die Büchse der Pandora geöffnet und Dinge ans Tageslicht befördert, mit denen er weder seine Erinnerungen belasten noch sich mit ihnen auseinander setzen wollte. Madeleine war nur der Überbringer der Hiobsbotschaft, dachte Jack. Den Verrat hatte Emma begangen.
»Das Internet ist Teufelswerk«, meinte Jim und trat über einen schmalen Bach. »Genau wie der männliche Verstand. Beides ist ein Kreuz, das ich tragen muss – aber jetzt, wo ich von meiner Frau getrennt lebe und du aus dem Rennen bist, lade ich Francesca vielleicht mal zum Essen ein.«
Jack antwortete nicht. Er hatte das Bedürfnis, Francesca vor Jim zu schützen, aber vermutlich konnte sie ganz gut auf sich selbst aufpassen. Er setzte seinen Weg mit Jim durch den Wald fort, verwundert über die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Andere Erinnerungen an seine Ehe tauchten auf. Zum Beispiel, wie selten Emma und er miteinander geschlafen hatten. Warum fiel ihm das ausgerechnet jetzt wieder ein? Wozu sollte das gut sein?
Jim und er vermaßen die westlichste Grenzlinie. Während Jim durch das Sichtgerät spähte, stapfte Jack raschelnd durch das Laub, hielt nach dem »mit einem ›X‹ markierten Granitfelsen« Ausschau. Während er den verborgenen Markierungspunkt suchte, förderte er tief verborgene Gefühle zutage. Er hatte den Grund für Emmas Urlaub mit Maddie nie wirklich
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