Wege im Sand
Bluejeans. Nell strahlte und wünschte sich, Peggy könnte Stevie jetzt sehen; sie sah so schön und heiter aus.
»Wir haben dir Blumen mitgebracht.« Nell reichte ihr den Strauß. »Sie wachsen am Ende des Strandes! Bist du früher mit Mom und Tante Maddie dorthin gegangen? Habt ihr dort auch Blumen gepflückt?«
»Nell, langsam!«, mahnte ihr Dad.
Aber Stevie war wunderbar. Sie wusste, dass Nell ihr mehr schenkte als einen Strauß Astern, Strandheide und wilde Möhren: Nell bot ihr die Chance, sich an ihre beiden Freundinnen zu erinnern. Sie bückte sich, sah Nell in die Augen und nickte. »Genau dort haben wir auch Blumen gepflückt.«
Nell warf ihrem Vater ein rasches Lächeln und einen triumphierenden Blick zu.
Stevie richtete sich auf, ihr Blick fiel auf die Weinflasche in der Hand von Nells Vater. »Würdest du so nett sein und sie öffnen, während ich die Blumen ins Wasser stelle? Du siehst aus, als könntest du einen Schluck gebrauchen.«
Jack war froh, etwas zu tun zu haben. Stevie reichte ihm einen Korkenzieher und deutete auf ein Regal, in dem Gläser standen. Er fand jedoch keine zwei, die zusammenpassten. Höhe und Formen waren unterschiedlich – manche besaßen einen Stiel, andere waren niedrig und bauchig, einige bestanden aus klarem Kristall, andere aus farbigem Glas. Ingenieure und Architekten hatten in der Regel eine Vorliebe für Ordnung, Harmonie und Symmetrie. Stevie, ihr Haus und ihre Gläser brachten ihn aus dem Konzept. Am Ende wählte er zwei mit unterschiedlich langen Stielen aus. Sie bat ihn, ihr ein Glas Ingwerlimonade einzuschenken.
Nell entschied sich ebenfalls für Ingwerlimonade. Jack beobachtete ihre Miene, als Stevie alle drei Getränke mit frischen Pfirsichscheiben garnierte: Seine Tochter strahlte, als hätte sie Geburtstag. Sie gingen ins Wohnzimmer, das einen herrlichen Ausblick auf den Strand bot. Stevie stellte Käse und Cracker auf den Tisch; sie nahm in einem Schaukelstuhl Platz, während sich Jack und Nell gemeinsam auf einen Zweisitzer mit verblichenem Chintzbezug quetschten. Die alte Katze rollte sich auf der Armlehne neben Stevie zusammen.
»Wie geht es dem Vogel?« erkundigte sich Jack.
»Oh, gut. Er vertilgt sämtliches Ungeziefer im Haus.«
»Ich habe schon gehört, was mit dem Vogel passiert ist«, sagte Nell. »Von dem Bruder meiner Freundin.«
»Du hast schon eine Freundin?« Jack sah, wie Stevie lächelte. Sie hatte ein warmes Lächeln, das ihr ganzes Gesicht aufleuchten ließ.
»Ja!« Nell war so erpicht darauf, von ihr zu erzählen, dass sie auf dem Sofa hochschnellte und dabei um ein Haar den Käse und die Cracker vom Tisch gefegt hätte. Jack berührte ihren Arm, um sie zu beruhigen, verblüfft angesichts ihrer Begeisterung. »Sie heißt Peggy McCabe.«
»Oh, Bays Tochter«, sagte Stevie. »Ihr Bruder Billy hat mir heute Morgen einen Besuch abgestattet.«
»Einer von diesen Rowdys?«, fragte Jack.
»Von diesen was?«, wollte Nell wissen.
Stevie lachte. »Das machen sie jedes Jahr. Eine Rasselbande, immer in neuer Zusammensetzung. Das Gerücht, ich sei eine Hexe, kursiert schon seit langer Zeit. Ich schätze, es ist so eine Art Initiationsritus oder Mutprobe für die Jungen von Hubbard’s Point, durch meine Fenster zu spähen, um mich – bei was weiß ich – zu ertappen, vermutlich beim Umrühren meines Hexenkessels.«
»Blödmänner«, ließ sich Nell vernehmen. »Sie kennen dich nicht.«
»Danke.«
»Können wir uns den Vogel anschauen?«
»Nell …«, sagte Jack warnend.
»Natürlich. Möchtest du mitkommen, Jack?«
Ihre Lächeln war strahlend. Er hätte sie gerne begleitet. Aber noch mehr lag ihm daran, dass Nell sie ein paar Minuten für sich allein hatte – wie sie es sich offensichtlich wünschte. »Nein danke«, sagte er. »Ich leiste Tilly Gesellschaft.«
Nell warf ihm einen anerkennenden Blick zu und stürmte hinter Stevie die Treppe hinauf. Jack trank einen Schluck Wein und versuchte zu ergründen, warum er sich so unbehaglich fühlte. Schließlich war das kein Rendezvous oder dergleichen, sondern ein Abendessen mit einer ehemaligen Freundin seiner Frau. Das war alles. Er kannte Stevie kaum – er hatte die Einladung ausschließlich seiner Tochter zuliebe angenommen.
Jack wollte vermeiden, dass Nell verletzt würde. Bestimmt würde Stevie ihr nicht absichtlich wehtun, aber er hatte trotzdem das Bedürfnis, sein Kind zu beschützen. In Gesellschaft war Nell wie ausgewechselt, verglichen mit dem abendlichen
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