Wege im Sand
war, mit Jack ins Wohnzimmer hinüber, wo sie warteten. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn erinnerten sie an ihren Vater. Sie hätte ihn gerne nach Emma gefragt, wollte ihn aber nicht verstimmen. Sie navigierte in klippenreichen Gewässern. Er räusperte sich und ergriff das Wort, als hätte er ihre Gedanken gelesen; er sprach leise, so dass Nell ihn nicht hören konnte.
»Es war ein Autounfall. In Georgia, auf dem Heimweg, wo sie das Wochenende verbracht hatte.«
»Ach, Emma.« Stevie schlug die Hand vor den Mund.
»Nell war acht. Letztes Jahr. Es war das erste Mal seit Nells Geburt, dass Emma weg war, ohne uns.«
»War sie allein?«
Jack schüttelte den Kopf. Er öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. In dieser kurzen Zeitspanne – zwischen Stevies Frage und der Antwort, die er gerade geben wollte – flammte Wut in ihm auf. Sie sah es an seinen Augen und seinem Mund. Er richtete den Blick auf den Strand, auf die Blumen, die Nell und er mitgebracht hatten, und zum Schluss auf Stevie. »Sie war mit meiner Schwester zusammen.«
»Madeleine?«
Jack nickte.
»Maddie – war sie –« Stevie war kaum fähig, die Frage über die Lippen zu bringen.
»Sie war verletzt. Aber sie hat überlebt.«
»Es tut mir so Leid, Jack.«
Er nickte, als gäbe es nichts mehr zu sagen. Stevie versuchte sich vorzustellen, wie es sein mochte, wenn die eigene Frau bei einem Unfall getötet und die Schwester verletzt wurde. Sie schwiegen eine Weile, lauschten Nell, die oben mit dem Vogel redete.
»Und was ist mit dir, Stevie? Hast du Kinder? Du verstehst dich großartig mit Nell.«
»Nein. Ich habe keine Kinder.« Sie fühlte sich sonderbar hohl, als sie ihm einen Teil der Wahrheit erzählte.
»Warst du verheiratet?«
Sie zögerte. Die Antwort fiel ihr schwer. »Drei Mal.«
»Oh.« Er lächelte – war es Einbildung, oder wusste er bereits Bescheid? Es war ihr peinlich, was manche Zeitungen über sie geschrieben hatten: »Manche Vögel gehen Partnerschaften fürs Leben ein, im Gegensatz zur heiß geliebten Kinderbuchautorin Stevie Moore.«
»Vermutlich eigne ich mich nicht für die Ehe«, versuchte sie zu scherzen, so wie sonst, wenn sie sich als ›Die Elizabeth Taylor von Südost-Neuengland‹ bezeichnete.
»Hmmm.« Er lachte nicht, verzichtete darauf, auch nur so zu tun, als sei das komisch. Seine Reaktion löste seltsamerweise ein gutes Gefühl in ihr aus.
Die Sonne ging unter, tauchte den Strand und die Bucht in karamellfarbenes Licht. Jack blickte sie an, und sie entdeckte Anteilnahme in seinen Augen. Er fand ihre Situation offenbar nicht belustigend, wie andere Leute bisweilen. Stevie hatte Freunde in New York, die sie als die »vielfach verehelichte Stevie Moore« vorstellten. Sie selbst hatte sich einmal im Spaß und beschwipst – damals, als der Alkohol noch seinen Zweck erfüllte – eine »Serien-Angetraute« genannt.
»Warum hast du …«, sagte er nach einer weiteren Minute.
»Warum ich drei Mal geheiratet habe?«
Er nickte. Der Kaffee war durchgelaufen, aber keiner von beiden rührte sich. Stevie stellte fest, dass sie die leere Weinflasche ansah und sich wünschte, es wäre noch etwas übrig. Sie erinnerte sich an Tante Aidas Worte, dass ihre alte irische Großmutter ihr geraten hätte, eine Flasche nie bis »zum letzten Tropfen« zu leeren, sonst würde sie als alte Jungfer sterben. Wenn das nur wahr geworden wäre, dachte Stevie.
»Also, Ehemann Nummer eins war ein junger Maler, den ich an der Kunstakademie kennen gelernt hatte. Nummer zwei entführte mich in die Antarktis, um den Kaiserpinguin zu erforschen. Und das letzte Mal heiratete ich einen Mann, der …« Sie hielt inne, suchte nach einer Möglichkeit zu beschreiben, was Sven ihr bedeutet hatte. »Der mir den Atem verschlug.«
»Und warum hat es nie geklappt?«
»Ich wünschte, ich wüsste es.«
Jack war höflich und zog sie nicht auf, aber er schien zu wissen, dass sie ihm eine ausweichende Antwort gab. Er wartete.
»Hast du mal was von ›Fluchttrieb‹ gehört?«, fragte sie. »Wenn sich ein Mensch in seiner Haut unwohl fühlt und beschließt, dass ein Ortswechsel alle Probleme lösen würde? Also packt er seine Siebensachen und zieht in eine andere Stadt, in einen anderen Staat oder in ein anderes Land in der Hoffnung, dass dort alles anders und besser sein wird. Er lässt das, was ihm vertraut ist, hinter sich und ergreift die Flucht.«
Bildete es Stevie sich ein, lag es am Sonnenuntergang, oder wurde Jack
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