Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
Zubettgehen. Der Tod ihrer Mutter hatte sie traumatisiert, und Jack wusste, dass sie sich an Stevie klammerte, weil sie eine Verbindung zu Emma darstellte. Er musste zugeben, dass es ihn ungeheuer freute, sie so glücklich zu sehen.
    Ihre Stimmen drifteten von oben hinunter – er fand es herrlich, Nell lachen zu hören. Er vernahm das Zirpen des Vogels und Nells Stimme, die den Laut nachzuahmen versuchte. Kurz darauf kamen die beiden wieder nach unten – wobei Nell Stevies Hand hielt.
    »Dad! Du solltest ihr Atelier sehen! Sie hat eine Staffelei in ihrem Schlafzimmer! Überall sind Farben und Bilder und Zeichnungen von allen möglichen Vögeln – auch von mir, Dad. Als Zaunkönig-Junges.«
    »Wow.« Jack betrachtete das glühende Gesicht seiner Tochter. Er verspürte einen Stich – war besorgt, dass sie sich zu sehr von einer Frau abhängig machte, die sie kaum kannten.
    »Ich habe sie dazu inspiriert«, sagte Nell. »Mommy und ich …«
    »Wirklich?« Jack sah auf, begegnete Stevies Blick. Hinter ihrem Lächeln entdeckte er die gleiche Traurigkeit wie am Morgen, als sie in ihrem viel zu großen Morgenmantel wie eine verlorene Seele ausgesehen hatte. Eine vage, beinahe vergessene Erinnerung kam ihm in den Sinn, an Emma, die eines von Stevies Büchern las – über Schwäne, wie er glaubte. Sie hatte missbilligt, dass Stevie Gewalt in der Vogelwelt dargestellt hatte.
    »Ja, wirklich«, erwiderte sie.
    »Ihre Mutter starb auch, als sie klein war«, erklärte Nell.
    »Oh.« Jack trank einen Schluck Wein, verlegen um eine Antwort. Wie kam es, dass Frauen und Mädchen einander binnen kürzester Zeit so viele Dinge anvertrauten? Hatte Stevie Nell gerade eben das alles erzählt? Wie war ihr das gelungen, ohne dabei eine Tränenflut auszulösen? Sowohl Stevie als auch Nell strahlten – er hatte seine Tochter seit langem nicht mehr so glücklich gesehen, seit … er konnte sich nicht mehr erinnern.
    »Das tut mit Leid«, sagte Jack schließlich.
    »Sie war Spitze«, meinte Nell. »Sie hatte aber auch einen Klasse-Dad. Er war wie du.«
    »Das war er wirklich.« Stevie nickte.
    »Stevie schenkt mir ein Buch über Kaiserpinguine!«, sagte Nell. »Das sie geschrieben hat! Es ging dabei um sie und ihren Vater, aber es könnte auch von dir und mir handeln!«
    »Wow«, sagte Jack zum zweiten Mal innerhalb von zwei Minuten. Sie hatten sich offenbar bei ihrer Stippvisite im ersten Stock wirklich eine Menge erzählt. Er blickte Stevie an; ihre veilchenblauen Augen waren ungemein ausdrucksvoll in dem Licht, das durch die Fenster auf der Westseite hereinfiel. Abermals fiel ihm ein, wie sehr Emma ihre Bücher abgelehnt hatte.
    Er griff nach seinem Wein und stieß dabei das Glas um.

    In Ermangelung eigener Kinder war sich Stevie nicht sicher, was sie ihren Gästen zum Abendessen vorsetzen sollte. Sie hatte eine Lieblingstante namens Aida, die Schwester ihres Vaters, die einen Witwer mit einem kleinen Sohn geheiratet hatte. Aida hatte Henry großgezogen und festgestellt, dass sie mit Steak, Salat, Stampfkartoffeln und Schokoladenkuchen als Nachtisch nie falsch lag. Deshalb servierte Stevie Tante Aidas Standardmenü und hoffte das Beste.
    »Ich liebe Stampfkartoffeln«, erklärte Nell. »Dad, warum gibt es die bei uns nie, außer an Thanksgiving?«
    »Keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil ich der Meinung war, dass du Pommes frites aus der Tiefkühltruhe magst.«
    »Ist das Steak durch?«, fragte Stevie.
    »Es schmeckt prima«, meinte Nell.
    »Fantastisch«, lobte Jack.
    Die Sonne ging unter, hüllte den ganzen Raum in einen goldenen Schein. Stevie liebte diese Tageszeit und nutzte oft die letzte Stunde des Lichts, um zu arbeiten, oft entstanden dann ihre besten Werke. Freunde zum Abendessen einzuladen gehörte nicht zu ihren Gewohnheiten. Es war so lange her …
    Sie wollte alles richtig machen für Emmas Familie. Sie hatte bemerkt, wie Jack zusammengezuckt war, als Nell die Zaunkönig-Bilder erwähnte. Wäre es besser gewesen, das für sich zu behalten? Überall schien es mutterlose Kinder zu geben, die Stevie an ihr eigenes Leben, an Emma und Nell erinnerten.
    »Möchte jemand ein Stück Kuchen?«, fragte sie, als sie den Tisch abräumte.
    »Gerne«, sagte Jack und ging ihr zur Hand.
    »Kann ich noch einmal den Vogel besuchen?«, fragte Nell.
    »Wenn dein Vater es erlaubt«, erwiderte Stevie, und Jack nickte. Nell klatschte vor Begeisterung in die Hände und lief nach oben.
    Stevie kochte Kaffee und ging, bis er durchgelaufen

Weitere Kostenlose Bücher