Wege im Sand
vielleicht auf die gleiche Weise küssen wollte wie John Garfield seine Filmpartnerin Lana Turner, als sie plötzlich sah, wie James genau das mit Emma machte.
Es gelang ihr, Maddie auf sich aufmerksam zu machen und einen Kieselstein auf Emma zu werfen. Stevie deutete heftig auf die Strandpromenade, wo sich die drei Freundinnen fünf Minuten später trafen.
»Was war denn das?«, fragte Stevie.
»Hey – ihr habt schließlich auch Händchen gehalten!«, entgegnete Emma.
»Händchen halten! Das hat nichts zu bedeuten – aber du gehst aufs Ganze!«, sagte Maddie. »Genau wie mein Bruder und seine Freundin – schaut mal, wie die rangehen.« Jack und seine Freundin lagen auf einer Decke, so weit von der Leinwand entfernt, dass eigentlich nicht die Rede davon sein konnte, dass sie sich überhaupt den Film ansahen.
Emma lächelte nur – ein wenig durchtrieben, als wäre sie soeben bei etwas erwischt worden, was sie schon den ganzen Sommer getan hatte.
»Hat er dich bedrängt? Ich komme rüber, dann kriegt er eine Fuhre Sand von mir in die Augen, damit du abhauen kannst«, erbot sich Stevie.
»Lass das ja bleiben!«
»Du machst Witze – du wolltest das?«
»Ähm, wir verpassen den Film«, erklärte Maddie nüchtern. »Ich gehe jetzt auf meine Decke zurück.« Sie eilte davon.
»Es gefällt dir?«, wollte Stevie von Emma wissen. Sie fühlte sich hilflos, als sei sie auf dem besten Weg, ihre beiden Freundinnen an Jungen zu verlieren. Sie hatte das Bedürfnis, das Bild der Beachgirls, so wie es jetzt war, für immer zu bewahren – drei Mädchen, die das Leben und einander liebten.
»Du führst dich auf wie ein Baby«, sagte Emma.
Stevies Kinnlade fiel herunter, als hätte sie eine Ohrfeige erhalten.
Emma packte Stevie bei den Schultern und sah sie an. Ihre grünen Augen wirkten hart im schattigen Licht, und ungeduldig – als wäre sie bedeutend älter als Stevie. Weiche braune Locken umrahmten ihr gebräuntes Gesicht, zerzaust vom Abendwind, der vom Wasser herüberwehte. Die Stimmen im Film waren leise und eindringlich. Als James »Emma!« rief, hätte Stevie am liebsten ihre Hand ergriffen, rasch mit ihr den Sand durchquert und sie ins Wasser gezogen, um diesen Augenblick auszulöschen.
»Tut mir Leid«, sagte Emma, ihrem Blick standhaltend. »Du bist kein Baby mehr.«
»Ich weiß.«
»Es wäre nicht schlecht, wenn wir uns mit dem Gedanken anfreunden, Jungen zu küssen. Weil sie das ohnehin tun werden. Tu einfach, was sie wollen, dann macht es mehr Spaß.«
»Und was ist mit dem, was wir wollen?«
»Wir wollen sie. Oder?«
»Da bin ich mir nicht sicher.« Stevies Lippen zitterten bei dem Versuch, ein Lächeln anzudeuten; sie hatte den übermächtigen Wunsch, sich an eine Kindheit zu klammern, die sie liebte und die ihr zu entgleiten drohte.
»Doch, bist du wohl. Du weißt es nur noch nicht.«
»Und woher weißt du es?«
»Weil das der Lauf der Welt ist. Und diese Erfahrung trägt dazu bei, dass wir uns noch mehr zu schätzen wissen. Die Beachgirls, meine ich.«
Sie war erst fünfzehn. Stevie hatte keinen blassen Schimmer, was sie meinte oder woher ihre Lebensweisheit stammte, oder warum Emmas Augen so leuchteten, als sie diese zum Besten gab. Offenbar hatte sie nie zurückgeblickt. Im nächsten Jahr hatte sie einen anderen Freund, und dann kam Jack, und von da an war das Leben in geordneten Bahnen verlaufen.
Das ist der Lauf der Welt. Während Stevie ihren Weg fortsetzte, hörte sie wieder Emmas Worte. Die Wellen umspielten ihre Füße, als die Sonne zu sinken begann. Das Ende dieses Tages stimmte sie traurig. Sie wünschte, Madeleine wäre geblieben, um mit ihr gemeinsam zu beobachten, wie der Vollmond aufging.
Emma konnte den Mond nicht mehr aufgehen sehen, aber Madeleine und sie. Und Jack und Nell. Stevie hatte gehofft, dass sie diesem Ereignis alle gemeinsam beiwohnen würden.
Emma wäre im Geiste bei ihnen gewesen.
13. Kapitel
D ie Vollmondnächte wurden in Hubbard’s Point immer feierlich begangen. Familien fanden sich am Strand oder auf den Felsen ein und unterhielten sich leise, während sie warteten. Leute, die Häuser mit Meerblick besaßen, gaben eine Party. Einige wetteten, um welche Zeit sich der Mond am Horizont aus dem Meer erheben würde.
War die Nacht wolkenverhangen und der eigentliche Aufstieg des Mondes nicht sichtbar, erschien er plötzlich wie von Zauberhand am Himmel, leuchtend gelb, nachdem er den Nebel gelichtet hatte.
Doch in einer wolkenlosen Nacht wie
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