Wege im Sand
ebenfalls verwitwet und meines Wissens bisher nicht in der Lage, auch nur einer Menschenseele sein Herz auszuschütten. Er konnte mir eine Schulter zum Anlehnen bieten, was er auch tat, aber wenn es um seine eigenen inneren Dämonen ging … ein hoffnungsloser Fall. Er wirkte auf mich wie der Blechmann aus dem Zauberer von Oz, als ich ihm begegnete – so erstarrt und eingerostet.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und Jack war zutiefst berührt. Er konnte sehen, wie sehr sie ihn liebte.
»Hat er nach einer ›Ölkanne‹ gefragt?«, scherzte Jack.
Bay lachte, trocknete ihre Augen. »Ach woher. Das wäre ja einer Bitte um Hilfe gleichgekommen! Und ich war durch Seans Tod arg mitgenommen und keineswegs erpicht darauf herauszufinden, wie ich mit ihm umgehen sollte. Aber schließlich fanden wir doch zueinander. Und halfen uns gegenseitig, die schwere Zeit durchzustehen …«
»Das freut mich für Sie.«
»Haben Sie Freunde? Geschwister?«
»Eine Schwester.«
»Wirklich? War Sie damals mit Ihnen hier?«
»Ja. Madeleine Kilvert.« Ihren Namen auszusprechen versetzte Jack einen Stich. Er sah Bay aufmerksam an, ob sie sich vielleicht an sie erinnerte.
»Der Name sagt mir nichts.«
»Maddie und Emma, meine Frau, waren eng befreundet. Und es gab noch eine dritte im Bunde. Stevie Moore.« Madeleines Namen über die Lippen zu bringen hatte ihn große Anstrengung gekostet, aber Stevies Namen auszusprechen war für ihn eine Tortur. Was ihn zutiefst beunruhigte.
»Oh, Stevie. Sie war schon immer eine Klasse für sich. Sie ist etwas jünger als Tara und ich, aber wir kannten uns natürlich vom Sehen. Und dann, als sie erwachsen war und diese wunderbaren Bücher schrieb … alle Kinder finden sie himmlisch.«
»Sie finden ihre Bücher himmlisch, aber ihr machen sie die Hölle heiß«, meinte Tara, die sich zu ihnen gesellte.
»Wegen der dummen Sprüche mit der Hexe?«
»Richtig. Wir befinden uns hier in einem kleinbürgerlichen Fantasieland. Die Mütter – Bay ausgenommen – neigen dazu, eine allein stehende Frau mit Misstrauen zu beäugen. Das Hexendrama begann meiner Meinung nach, weil jemand nicht begreifen wollte, warum eine wunderbare Frau wie Stevie nicht unter der Haube bleiben kann.«
»Kann sie nicht?« Bay hob fragend die Augenbrauen. »Das klingt ganz so, als wolltest du dir ein Urteil anmaßen, ausgerechnet du!«
Tara kicherte. »Ausgerechnet von einer weiteren Femme fatale, meint sie. Nun, die Zeiten sind vorbei – Joe wird um die Weihnachtszeit eine ehrbare Frau aus mir machen. Wie auch immer, ich wollte jedenfalls sagen, dass die verheirateten Strandmatronen Stevie scheel anschauen, weil sie geschieden ist und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmert. Und die Kinder und Jugendlichen schnappen das Geschwätz auf. In Wirklichkeit ist sie jedoch allein, weil sie nie jemanden gefunden hat, der ihr das Wasser reichen kann, der sie glücklich macht!«
»Sie hätte es verdient«, meinte Jack.
»Sie kennen sie?«
»Flüchtig. Sie scheint ein wunderbarer Mensch zu sein. Der Wert auf Privatsphäre legt.«
Die beiden Frauen lächelten. Bildete er sich das ein oder hatten sie ihn gerade in die Enge getrieben wie ein Fischadler seine Beute? »So großen Wert nun auch wieder nicht«, meinte Tara.
»Egal«, sagte Jack, sich an den letzten Besuch erinnernd und bemüht, eine unbeteiligte Mine aufzusetzen. Er hatte keine Lust, mit Bay und Tara zu diskutieren, zumal er ahnte, dass sie ihn verkuppeln wollten. »Ich denke, wir lassen das Thema lieber«, fügte er hinzu, damit sie gar nicht erst auf dumme Gedanken kamen.
»Typisch Mann«, meinte Bay mit liebevoller Nachsicht.
»Nicht wahr?«, pflichtete Tara ihr bei.
Genau in dem Moment rief Dan nach ihm, um zu fragen, wie er das Fleisch für seinen Burger wollte. Jack war froh, sich aus dem Staub machen und den Männern am Grill anschließen zu können. Joe und Dan unterhielten sich gerade über die Red Sox, ein Thema, in das sich Jack mühelos einklinken konnte. Baseball war ein Allheilmittel: Balsam für die Seele.
Es ging hoch her, denn es galt, alle satt zu bekommen und rechtzeitig am Strand zu sein, bevor der Mond aufging. Jack freute sich, dass er den Mondaufgang mit diesen beiden großartigen Paaren und deren Kinderschar beobachten würde. Er hatte Nell, aber er würde jemand anderen vermissen.
Emma natürlich.
Emma würde ihm fehlen. Das redete er sich zumindest ein, bis er es selbst glaubte. Alle gegenteiligen Empfindungen hatte er
Weitere Kostenlose Bücher