Wege im Sand
ist besser, wenn ich jetzt gehe«, sagte sie.
»Du glaubst, dass es besser ist, aber du möchtest nicht.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil ich weiß, was ich empfinde … und ich denke, du empfindest das Gleiche.«
Er beugte sich zu ihr herab, und sie küssten sich abermals. Stevie schlang die Arme um seinen Hals. Er roch nach Salz, Schweiß und Zitrusfrüchten. Sie wäre gern mit ihm schwimmen gegangen. Ihr Körper sehnte sich danach, und sie schmiegte sich an ihn, leidenschaftlich und wortlos, während die Gedanken versiegten und Gefühle die Oberhand gewannen.
In dem Moment hörten sie, wie Nell sich in ihrem Bett herumwälzte.
Ein leises Geräusch, das sie zur Besinnung brachte. Stevie sprang auf. Schwankend und ein wenig unsicher auf den Beinen, trat sie einen Schritt zurück. Jack streckte die Hand aus, versuchte sie wieder an sich zu ziehen. Doch Stevie wollte vermeiden, dass Nell aufwachte und ihre neue Freundin dabei ertappte, wie sie ihren Vater küsste.
»Ich muss gehen«, flüsterte sie.
»Bitte – Stevie … ich muss mit dir reden.«
»Nicht heute Abend.« Sie fühlte sich benommen. »Bitte. Ich muss wirklich los.«
»Wann schauen wir uns das Schloss an?«
»Morgen? Übermorgen? Jederzeit; ich richte mich ganz nach dir.«
»Je früher, desto besser. Wir reisen in drei Wochen ab.«
»In drei Wochen?«
»Das war ein Punkt, über den ich mit dir reden wollte.« Er stand auf, ging zu ihr, berührte ihren Arm.
Sie nickte. Ihr Gesicht war heiß, und die Benommenheit wuchs. Sie wusste, dass sie das Haus sofort verlassen musste, weil es ihr sonst nicht mehr gelingen würde. Sie zog ihren Arm zurück, sah ihm lächelnd in die Augen.
»Ich trete eine Stellung in Schottland an«, sagte er. Sie spürte, wie ihr Lächeln erlosch.
»Wann?«
»In drei Wochen.«
Stevie dachte an Nell, die weit entfernt leben würde. Sie dachte an Madeleine, die jede Chance auf eine Versöhnung verlor. Und sie dachte an Jack, und wie gering ihre Hoffnung war, sich in so kurzer Zeit über ihre Gefühle für ihn klar zu werden. Ihr Herz sank, dann gab sie sich innerlich einen Ruck.
»Was denkst du?«, fragte er.
»Tut mir Leid, dass du gehst. Wo so viel zu tun bleibt …«
»Das Schloss deiner Tante?«
Stevie lächelte betrübt. »Glaubst du?«
Er blinzelte. Dann schüttelte er den Kopf. »Das ist noch das Wenigste«, sagte er schließlich.
»Aha.« Sie dachte an die mit Efeu bewachsenen Mauern, die Kletterpflanzen, die sich ihren Weg durch den bröckelnden Mörtel bahnten, das Gestein, das sich lockerte und herabfiel, die überwucherten Pfade … Aber er hatte Recht, trotz alledem war die körperliche Arbeit bedeutend leichter als die emotionale. »Ich wünschte, ich wünschte …«, begann sie.
»Was, Stevie?«
»Ich wünschte, Nell hätte wieder so ein gutes Verhältnis zu ihrer Tante, wie ich zu meiner.«
Er wandte den Blick ab und räusperte sich, ignorierte ihre Worte. »Es ist besser, wenn wir uns das Schloss so bald wie möglich anschauen. Gleich morgen – gegen zwölf?«
»Zwölf Uhr wäre prima.«
»Eines wüsste ich gerne«, sagte er nach einer Weile, die Seite ihres Gesichts berührend.
»Was?« Ihre Haut prickelte.
»Ist das die einzige Reaktion auf meine Eröffnung, dass wir nach Schottland übersiedeln?«
»Die einzige, die ich laut auszusprechen wage«, erwiderte sie sanft. Dann drehte sie sich um und ging zur Tür, trat in die helle, vom Mond beschienene Nacht hinaus.
Jack sah ihr nach. Er musste sich zurückhalten, um ihr nicht zu folgen. Sein Herz klopfte. Stevie war fort, aber irgendetwas von ihr war geblieben – von ihrer Aura, ihrem Wesen. Die Atmosphäre im Raum schien vor Spannung zu knistern. Jack begriff nicht, wie ihm geschah, hatte dergleichen noch nie erlebt. Es hatte das Gefühl, vor Energie zu platzen – imstande zu sein, eine Strecke von zwanzig Meilen zu laufen. Er reckte und streckte sich, um einen Gang herunterzuschalten.
Er hätte am liebsten alles anders und vieles in seinem Leben ungeschehen gemacht. Er wusste, dass Stevie Recht hatte, was Nell betraf. Aber sie kannte nicht die ganze Geschichte. Es steckte mehr dahinter, als es auf den ersten Blick schien.
Die seltsame Energie, die ihn nach dem Gespräch mit ihr überkommen hatte, war noch da, und er griff, ohne lange zu überlegen, nach dem Telefon. Er rief die Auskunft an, wählte die Nummer, die ihm durchgesagt wurde.
Seine Hände zitterten, als er den Hörer ans Ohr hielt.
Es läutete und
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