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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Nell kicherte.
    »Genau«, pflichtete Henry ihr bei. »Dieses Schild sollte ein neues Zuhause finden, auf einer netten Müllhalde.«
    Jack sah, wie aufgeschlossen und glücklich seine Tochter in Gegenwart dieser Menschen war, die sie gerade erst kennen gelernt hatte, wie sehr sie nach deren Zuneigung dürstete. Das lag an Stevie. Nell hatte sie vereinnahmt – als eine Art Tantenersatz, als frühere Freundin ihrer Mutter. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er hatte vergessen, wie es war, eine große Familie zu haben. Seine Eltern, Tanten und Onkel waren tot; er hatte nur noch Madeleine.
    Henry und Doreen hatten noch verschiedene Dinge zu erledigen – sie waren mit dem Priester von St. Mary’s in Newport verabredet, wegen des Termins für die Trauung. Aida schlug den Weg zum Schloss ein, ging Stevie und ihren Besuchern voran. Stevie nahm Nell an die Hand, und Jack folgte ihnen.
    »Warte mal, Stevie!«, hörte sie Henry plötzlich rufen.
    Sie drehte sich um.
    »Luocious war einmal.«
    »Was soll das heißen?«
    »Die Odyssee braucht keine weitere Sirene mehr. Und Stevie weiß, was sie tut. Das sehe ich. Bleib auf Kurs, ja?«
    Stevie stand wie angewurzelt da. Ihre Reaktion und ihre Haltung weckten in Jack den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen – sie sah aus, als könnte sie einen sicheren Hafen gebrauchen. Doch dann erhellte ein Lächeln ihr Gesicht, sie nickte und winkte ihrem Stiefcousin zum Abschied zu, der zurückwinkte.
    Jack wusste nicht, was der Wortwechsel bedeutete, der gerade zwischen den beiden stattgefunden hatte, aber eines war klar – Stevie und Henry waren ungeachtet der Natur ihrer Verwandtschaft eine Familie, die Anteil am Leben des anderen nahm, an jedem einzelnen Schritt. Er dachte an Maddie und empfand eine noch größere Leere als zuvor.
    Sie standen an der Eingangtür des Schlosses. Ein Schwall kühler, moderiger Luft empfing sie. Jacks Herz klopfte, als er in die Dunkelheit spähte. Als Ingenieur war er begeistert angesichts der Möglichkeiten, die sich ihm hier boten. Nell erschauerte, ergriff seine und Stevies Hand. Gemeinsam traten sie ein, während Jacks Herz raste.
    Er dachte nur noch an eines: Ich muss irgendwie aus dem Vertrag heraus, ich pfeife auf Schottland.

    Nell hielt ihren Vater und Stevie an der Hand, war hingerissen von dem Schloss. Es war voller Magie. Die Wände aus dunklem Eichenholz waren mit geschnitzten Köpfen und Gesichtern geschmückt. Der Fußboden bestand aus quadratischen Schieferplatten, in die Wappenschilde und Wahlsprüche eingelassen waren. Tante Aida wies sie darauf hin und erklärte, das wären die Namen der Theater, in denen ihr Mann auf der Bühne gestanden hatte.
    »Als Mitglied der Royal Shakespeare Company war er schon in jungen Jahren berühmt«, sagte sie. » Er wurde im gleichen Atemzug mit Gielgud, dem größten britischen Mimen des zwanzigsten Jahrhunderts, genannt. Er trat in Covent Garden auf, in der Rolle des Jago, von den Kritikern gefeiert. Und das will etwas heißen, schließlich hatte Sir Lawrence Olivier dort Heimvorteil als Shakespeare-Darsteller. Er spielte auch Prinz Hal – den zügellosen Trunkenbold, der später geläutert wurde und als König Heinrich der Fünfte den Thron bestieg – mit dem gleichen Erfolg. Und danach … erhielt das Leben Vorrang und interessierte ihn mehr als das Theater. Er war ein Bonvivant, wie er im Buche steht, mein Van. Mit zunehmendem Alter wurde er freilich gesetzter, wie Falstaff. Die Rolle war ihm auf den Leib geschrieben, meinem Herzallerliebsten.«
    Nell verstand nicht alle Worte oder was sie bedeuteten, aber sie erkannte an Tante Aidas Stimme, dass sie Van geliebt hatte. Stevie beugte sich vor, um sie zu umarmen; offenbar wusste sie, dass es ihrer Tante schwer fiel, das Schloss zu betreten.
    Ihre Schritte erzeugten einen Widerhall, als sie durch das Erdgeschoss gingen. Es bestand aus einer weitläufigen Eingangshalle mit einem riesigen schwarzen Kandelaber, an dem Spinnweben hingen, und einer langen hölzernen Tafel mit gefährlich aussehendem Schimmel. Nell klammerte sich an ihren Vater und Stevie. Ihr Vater redete, mit seiner Geschäftsstimme, nüchtern und distanziert.
    Sie kannte diesen Tonfall vom Telefon, und im Büro. Dass ihm Francesca nicht wirklich gefiel, merkte man allein daran, dass er ihn auch in ihrer Gegenwart benutzte. Seine Stimme klang nie sanft und liebevoll, wenn sie da war.
    Mit Nell hatte er noch nie in dieser Art gesprochen, und gegenüber ihrer Mutter nur ein einziges

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