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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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trug. Die Ärmel waren sehr kurz, gaben die Oberseite ihrer Schultern frei, die muskulös und zart zugleich aussahen.
    Die Sandbank ging in seichtes Wasser über. Sie wateten hinein, was das Vorwärtskommen verlangsamte. Stevie legte nun den Fahrradschlauch aufs Wasser, ließ ihn treiben. Sie befestigte eine Schnur daran, die sie Nell in die Hand drückte, damit sie ihn hinterherzog. Sie setzten den Weg fort.
    Jack hatte den Morgen mit Stevies Tante verbracht. Sie hatte ihm etwas über Stevies Kindheit erzählt, dass sie ihre Mutter schon in jungen Jahren verloren hatte.
    »Standen sie sich nahe?«, hatte Jack gefragt.
    »Ja, sehr. Stevie war am Boden zerstört, als die Nachricht kam. Sie … riss sich vor lauter Kummer buchstäblich die Haare aus. Als mein Bruder Johnny in ihr Zimmer kam, fand er ganze Haarbüschel auf dem Kopfkissen, in ihren Fäusten; er musste sie ihr mit Gewalt abnehmen. In der Nacht wurde sie farbenblind. Eine seltsame, traumatische Reaktion … sie war sehr künstlerisch veranlagt, hatte schon als kleines Kind gemalt; es war so, als ob ihre Psyche einfach beschlossen hatte, dem Leben jede Farbigkeit zu rauben, da es ohnehin nichts mehr zu bieten hatte.«
    »Wie lange dauerte dieser Zustand an?«
    »Sechs Monate. Johnny schleppte sie von einem Neurologen zum anderen, keiner wusste Rat. Sie hatten so etwas noch nie erlebt. Sie schlugen eine Therapie vor, manche sogar die Einweisung in eine Klinik. Johnny fand eine gute Ärztin für sie, aber er bestand natürlich darauf, dass sie ambulant behandelt wurde. Susan vollbrachte ein Wunder … sie trug beträchtlich zu Stevies Genesung bei. Mit einer Mischung aus Kunst- und Gesprächstherapie …«
    Jack erinnerte sich, was Stevie über ihre Sitzungen bei Susan gesagt hatte; ihre Worte hatten ihm ein besseres Gefühl hinsichtlich Dr. Galfords vermittelt.
    »Auf Susans Anregung hin kaufte Johnny Fingerfarben und ermutigte Stevie, damit zu malen. Das machte sie auch … obwohl sie die Farben nicht sehen konnte. Sie malte ausschließlich Vögel. Sie sagte …« Tante Aidas Stimme brach. »Dass sie sich wünschte, ihr würden Flügel wachsen, damit sie in den Himmel fliegen könne, zu ihrer Mutter.«
    Der Anblick von Nell und Stevie erfüllte Jack einen Moment lang mit Verzweiflung – er wusste, dass sich das Leben mit einem Schlag ändern konnte. Doch als er die beiden vergnügt durchs Wasser waten sah, fühlte auch er sich glücklich – vor allem bei dem Gedanken, dass sich seine Tochter und Stevie so gut verstanden und Stevie genau wusste, was Nell durchmachte. Nach Emmas Tod hatte Jack beschlossen, alles für Nell zu tun, was nötig war. Sie sollte ihre Mutter in guter Erinnerung behalten, sie so lieben, wie Stevie ihre Mutter geliebt hatte. Doch ihr Andenken zu bewahren war mit einem hohen Preis verbunden. Er dachte an seine Schwester und ging langsamer, blieb ein Stück hinter den beiden zurück.
    »Warum steht auf deinem T-Shirt ›Talking Heads‹?«, fragte Nell, das Wasser trug ihre Stimme zu ihm herüber.
    »Das ist eine Band, die auf der gleichen Schule war wie ich.«
    »Hast du sie gekannt?«
    »Nein, die waren einige Klassen vor mir. Aber ich mag ihre Musik.«
    »Was für eine Schule war das?«
    »Die RISD . Rhode Island School of Design.«
    »Wie kommt es, dass Maler und Musiker dieselbe Schule besuchen?«
    Stevie lachte. »Kunst ist weder auf das eine noch auf das andere beschränkt. Sie ist weitläufiger, umfassender. Wichtig ist, dass man lernt, das zum Ausdruck zu bringen, was in einem steckt.«
    »Wen würde schon interessieren, was in mir steckt?« Nell kicherte nervös.
    »Die ganze Welt.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Eines Tages schon.« Stevie strich über Nells Kopf, eine Geste, bei deren Anblick Jacks Herz schneller schlug. »Ich bin ziemlich sicher, dass in dir ebenfalls eine Künstlerin steckt.«
    Nell lachte abermals. Der sandige Boden war plötzlich schleimig geworden, und sie blieben stehen. Stevie befestigte den Eimer am Schlauch und drückte Jack und Nell die zwei Muschelrechen in die Hand. Sie hatten beide lange gebogene Eisenzinken und einen alten zersplitterten Holzgriff, der oft vom Salzwasser nass geworden und wieder getrocknet war.
    »Also … ihr harkt mit den Rechen vorsichtig den Schlamm, bis ihr spürt, dass eine Muschel hängen geblieben ist … dann zieht ihr sie heraus und werft sie in den Eimer.«
    »Wie spürt man das?«, wollte Nell wissen.
    »Das ist schwer zu erklären. Aber ihr merkt es

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