Wege im Sand
trafen sich. Ihr stockte der Atem, und sie musste sich zwingen, ihre Aufmerksamkeit auf die Leinwand zu richten. Der Film nahm mit viel Getöse seinen Lauf, zeigte Hayley Mills, die sich im Treppenhaus versteckte. Nell und Peggy fürchteten sich hinzuschauen, deshalb baten sie schon jetzt um Geld und liefen zum Good Humor Eiswagen.
»Den Teil kenne ich schon«, sagte Jack und wandte sich ihr zu. Er ließ ihre Hand los und legte den Arm um ihre Schultern. Sie fühlte sich wieder wie sechzehn – nein, noch aufgeregter als damals, bei ihren Kinobesuchen mit einem Jungen. Ihr Herz klopfte, sie spürte seinen Atem auf ihrer Wange.
»Ich auch.«
»Aber selbst wenn es anders wäre, würde ich mich viel lieber mir dir unterhalten.«
Sie nickte. Ich auch, flüsterte sie ihm lautlos und lächelnd zu. Er streifte ihre Wange mit seinen Lippen. Sie verfolgten wieder das Geschehen auf der Leinwand, doch plötzlich riss der Film. Die Zuschauer stöhnten auf, doch dann rief jemand, dass der Schaden in wenigen Minuten behoben sein würde.
Trotz der Menschenmenge ringsum konnte Stevie nur an eines denken: Jack zu küssen. Sein Arm umschlang sie fester, ihre Hüften waren aneinander gepresst. Wären sie jünger gewesen, wäre Nell nicht dabei, hätten sie sich klammheimlich unter die Strandpromenade verzogen …
Der Gedanke brachte sie zum Lachen. »Woran denkst du?«, fragte er.
»Nur dass … einmal Femme fatale, immer …«
»Das sehe ich nicht so, Ehrenwort«, beteuerte er starrköpfig.
Stevie nickte. »Ich bin auch nicht mit dem Gedanken aufgewachsen: ›Ich möchte drei Mal heiraten, bevor ich vierzig bin.‹ Wahrhaftig nicht. Ich habe … mein Bestes getan, dass es klappt. Ich … verliebe mich leicht.«
»Wirklich?« Er grinste übers ganze Gesicht.
Sie versuchte zu lächeln. »Ich habe mich falsch ausgedrückt. Was ich sagen wollte, war … ich empfinde so viel für die Menschen, die ich … nun, liebe. Ich kann diese Gefühle nicht auf Kommando ein- und ausschalten. Und ich glaube an die Ehe, seit ich denken kann.«
Er nickte. »Deine Tante erzählte mir, deine Eltern hätten eine Bilderbuchehe geführt.«
»Stimmt.« Darüber zu sprechen fiel ihr unerwartet schwer. Mit einem Mal fühlte sie sich unbehaglich, weil sie sich von Jack umarmen ließ. Die Vergangenheit stieg drohend in ihrer Erinnerung auf, überflutete sie, und sie rückte unwillkürlich von ihm ab. »Sie lebten in ihrer eigenen Welt, waren sich selbst genug. Alles andere war zweitrangig … wie bei dir und Emma.«
Warum wandte er den Kopf ab? War das nicht die ganze Geschichte? Die große Liebe, die er für Emma empfunden hatte? Der Grund, warum er aus Atlanta weggezogen war? Hatte er nicht deshalb den Kontakt zu Maddie abgebrochen – weil sie etwas gegen seine Frau gesagt hatte?
»So war sie nicht«, sagte Jack.
»Wer?«
»Meine Ehe. Sie war alles andere als ideal«, sagte er ruhig. »Obwohl ich das dachte. Wirklich. Emma schien wunschlos glücklich zu sein. Sie blieb zu Hause bei Nell, dann übernahm sie eine ehrenamtliche Tätigkeit in unserer Kirchengemeinde. Die Kirche St. Francis Xavier ist sehr sozial engagiert – sie kümmern sich um die Insassen von Pflegeheimen, Obdachlosenasylen, Gefängnissen. Emma pflegte Strafgefangenen vorzulesen. Meine Schwester …«
Stevie wartete. Sein Gesicht war verzerrt. »Sie klärte mich auf. Ich hatte gespürt, dass etwas nicht stimmte, aber ich war zu verbohrt, um selbst draufzukommen. Maddie musste mir die Augen öffnen, nach Emmas Tod.«
»Oh Jack.«
»Ich würde dir gerne alles erzählen, aber ich weiß nicht, ob es klug wäre. Es ist unfassbar für mich, einen Menschen wie dich kennen zu lernen, zu sehen, wie sehr Nell dich mag. Und festzustellen, dass dir ihr Wohl am Herzen liegt. Ich habe das Gefühl, als könnte ich mit dir über alles reden …«
»Das kannst du.«
Er schüttelte energisch den Kopf. »Darüber nicht. Ich würde gerne, aber Nells wegen lieber nicht – sie ist doch noch ein Kind. Sie hat ihre Mutter sehr geliebt, und ich möchte, dass es so bleibt.«
»Natürlich. Du möchtest die Erinnerung an Emma bewahren.« Stevie drückte seine Hand. »Das verstehe ich. Aber du solltest dich jemandem anvertrauen, Jack. Es nagt an dir, hat jetzt schon einen wichtigen Teil deines Lebens zerstört …«
»Was meinst du damit?«
»Madeleine. Es hat dich deiner Schwester entfremdet.«
Er starrte auf die Leinwand, als wünschte er, der Film möge endlich wieder beginnen
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