Wehe Dem, Der Boeses Tut
Adria zog eine handgeschriebene Karte heraus und las:
Mr Anthony Polidori gibt sich die Ehre, Sie heute Abend um sieben Uhr im Antonio's zum Essen einzuladen. Ein Fahrer wird Sie vor dem Hotel abholen.
Keine Telefonnummer, keine Adresse, nichts. Nur diese zwei Sätze.
Adria las die Nachricht noch einmal. Was wollte Polidori von ihr? Offenbar hatte er erfahren, dass sie sich in der Stadt aufhielt und behauptete, London Danvers zu sein. Aber wie? Und woher wusste er, wo sie wohnte? Eine Gänsehaut kroch ihr über den Rücken.
»Entspann dich«, ermahnte sie sich, tippte sich mit der Karte an die Lippen und trat vor ihren Schrank, um ihre spärliche Garderobe in Augenschein zu nehmen. Was konnte es schaden, wenn sie sich mit Polidori traf? Sollte sie sein Angebot annehmen, oder kam sie ihm dadurch zu sehr entgegen?
Sie lächelte vor sich hin; sie fing schon an zu denken wie eine Danvers. Dabei hatte sie doch keinen Grund, die Polidoris zu fürchten. Im Gegenteil, ein Gespräch mit Witt Danvers' Erzfeind konnte sehr aufschlussreich für sie sein. Die gesamte Familie betrachtete ihn als den Hauptverdächtigen in der Entführung Londons. Warum also wollte er sich mit ihr treffen?
Sie zog einen schlichten schwarzen Rock und ein ebensolches Top an, steckte ihre Haare zurück und schlüpfte in eine Jacke.
Als sie im Foyer aus dem Lift stieg, war die Limousine bereits vorgefahren, und der Chauffeur half ihr ins halbdunkle Wageninnere. Dort saßen bereits zwei Männer einander gegenüber. Der kleinere, ältere, mit Sonnenbrille und in einem eleganten grauen Anzug, begrüßte sie zuerst. »Ms Nash«, sagte er und ergriff ihre Hand, als sie neben ihm Platz nahm. »Ich bin Anthony Polidori. Und dies ist mein Sohn Mario.«
»Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Mario aalglatt. Er war sonnengebräunt und attraktiv, mit regelmäßigen Gesichtszügen, lockigem schwarzem Haar, das er länger trug, als die Mode es vorschrieb, und Augen in der Farbe von Obsidian.
»Es hat mich überrascht, von Ihnen zu hören«, sagte Adria, ohne sich lange mit Floskeln aufzuhalten.
Anthony lächelte und tippte seinem Sohn mit seinem Gehstock aufs Knie. »Hörst du, es hat sie überrascht.« Er tätschelte ihren Arm und die Limousine fuhr an. »Sie haben noch nichts von der Fehde zwischen der Familie Danvers und der meinen gehört?« Sein Tonfall klang skeptisch.
»Ein bisschen schon«, erwiderte sie ausweichend.
»Darauf möchte ich wetten.« Ein paar Sekunden lang schien Anthony Polidori seinen Gedanken nachzuhängen, und im üppig gepolsterten Wageninneren war nichts als leise klassische Musik zu hören. »Mario, wo sind deine Manieren? Frag Ms Nash, ob sie gern einen Drink hätte.«
»Später vielleicht«, wehrte sie ab, doch Mario überhörte ihre Antwort und füllte ein Glas mit Wein aus einer in einem Eiskübel gekühlten Flasche.
»Bitte, seien Sie unser Gast«, sagte er. Mario, Ende dreißig oder Anfang vierzig, trug sein gutes Aussehen wie einen teuren Anzug. So, wie er ihr gegenübersaß, schien er zu posieren. Als er ihr das langstielige Glas reichte, streiften seine Finger für einen Sekundenbruchteil ihre Hand, und sein Blick senkte sich kurz in ihren, bevor er die Hand zurückzog.
Anthony schaute aus dem Fenster mit den getönten Scheiben und schnalzte mit der Zunge. »Sehr traurig, diese Fehde«, gab er zu, »aber es lässt sich nicht ändern. Sie begann schon vor Generationen, müssen Sie wissen. Mit Julius Danvers und meinem Vater.«
So viel wusste Adria bereits. Maria, die langjährige Bedienstete der Familie Danvers, hatte ihr von Stefano Polidori erzählt und wie er zum Rivalen der Familie Danvers wurde.
Der ursprüngliche Patriarch der Danvers-Dynastie, Julius Danvers, kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu Geld und legte den Grundstein für das Vermögen der Familie. Er war Immigrant, ein Holzfäller, der in weiser Voraussicht alles an holzreichem Land an sich brachte, was zu haben war, teils auch mit unredlichen Mitteln. Er gründete nicht nur eine Firma, die das in diesem Bundesstaat reichlich vorhandene Holz aberntete, sondern baute auch eine Reihe Sägemühlen, deren Standorte schließlich von Nordkalifornien bis an die kanadische Grenze nördlich von Seattle reichten.
Es wurde gemunkelt, aber nie bewiesen, dass Julius ein niederträchtiger Mistkerl war, der in seinem Streben nach uneingeschränkter Macht im holzreichen pazifischen Nordwesten skrupellos über Leichen ging. Bei mehreren »Arbeitsunfällen«, die
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