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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Die Mutter hielt das Baby im Arm, dessen Kopf auf ihrer Brust ruhte.
    Lee verstand sofort, welche Bedeutung diese Figur für Anas Leben hatte: Sie war gleichzeitig Mutter und Kind, sehnte sich nach einer »Wiedergeburt« durch ihre Therapie. Vielleicht war sie deshalb auf jemanden wie Perkins hereingefallen und sah in seiner Hypnose eine ähnliche Erfahrung.
    Butts nahm sich die Figur und musterte sie. »Scheint ihr wirklich ernst gewesen zu sein mit dieser Töpferei. Ob sie auch was davon verkauft hat?«
    »Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte Lee. »Und falls ja, wer waren ihre Kunden?«
    »Hier hab ich was«, sagte Butts, während er ein Stück Papier aus dem Regal zog. Lee schaute ihm über die Schulter. Es sah aus wie ein Verkaufsverzeichnis. Es befanden sich ungefähr ein halbes Dutzend Namen darauf. Daneben waren die Preise notiert und eine kurze Beschreibung des veräußerten Objekts.
    »Ah, dann hat sie wirklich einige ihrer Stücke verkauft«, sagte Lee. »Gute Arbeit, Butts.«
    »Ein paar auffällige Namen«, bemerkte Butts. »Der hier ist komisch – Caleb. Wie einer dieser altmodischen Namen in einem Hawthorne-Roman oder so.« Butts kratzte sich am Kopf. »Aber ist es wirklich wahrscheinlich, dass einer ihrer Käufer sie umgebracht hat?«
    »Am Anfang unseres letzten Falls haben Sie mir doch erklärt, dass die meisten Morde zwischen Menschen geschehen, die sich kennen.«
    »Stimmt«, sagte Butts. »Aber wir wissen inzwischen doch wohl beide, dass dieser Täter eine ganz andere Nummer ist.«
    »Das stimmt auch«, bestätigte Lee. »Serienmörder bringen selten Menschen um, die sie kennen – allerdings kann man aufgrund der Abschiedsbriefe vermuten, dass er einen gewissen Kontakt zu seinen Opfern hatte.«
    »Richtig, deshalb nehme ich das hier vorsichtshalber mal mit«, sagte Butts, holte eine blaue Tüte für Beweismittel aus der Tasche und ließ das Blatt hineingleiten. »Man weiß ja nie.«
    Sonst fanden sie im Haus keine weiteren Anhaltspunkte. Alles jedoch, was sie dort sahen, deutete darauf hin, dass Ana ernsthaft versucht hatte, ihr Leben endlich in Ordnung zu bringen, aus dem sie dann so plötzlich und grausam herausgerissen worden war. Als sie fertig waren und sich von Officer Anderson verabschiedeten, stand die Sonne bereits tief am Himmel. Schweigend fuhren sie durch den Sommerabend an Meilen und Meilen von Farmland vorbei. Der Duft nach frisch gemähtem Heu mischte sich mit dem Gestank von Dung und drang ins Auto herein.
    Kurz hinter Summerville zogen dunkle Wolken auf. Dicke Regentropfen prasselten auf die Windschutzscheibe. Gerade als Lee die Scheibenwischer anstellen wollte, klingelte sein Handy. Er fischte es aus der Jackentasche und warf es Butts zu.
    »Hallo? Hi, Captain!« Butts stellte den Lautsprecher an.
    »Ist Lee in der Nähe?« Es war Chuck. Seine Stimme klang angespannt.
    »Ja, ich fahre«, rief Lee gegen den prasselnden Regen an, der sich zu einem echten Sturzbach auswuchs. »Der Lautsprecher ist an.«
    »Sagt mal, seid ihr beiden fertig in New Jersey?«
    »Ja, wir sind auf dem Rückweg – warum? Ist irgendwas los?«, fragte Lee und sah hinüber zu Butts.
    »Na ja, nicht so richtig«, antwortete Chuck ausweichend. »Es geht um Krieger. Die ist sauer und kommt nachher hier zu mir ins Büro.«
    »Oh«, sagte Lee. »Und du willst ihr lieber nicht allein gegenübertreten, stimmt’s?«
    »Wann könntet ihr denn hier sein?« Der Captain klang richtig unglücklich.
    Chucks einzige Schwäche – wenn man es denn eine Schwäche nennen wollte – war seine Hilflosigkeit gegenüber starken Frauen. Insbesondere, wenn die auch noch wütend waren. Lee hatte schon erlebt, wie Chuck einer ganzen Meute aufgebrachter Polizisten die Stirn geboten hatte. Als es während ihrer Zeit in Princeton einmal im Wohnheim gebrannt hatte, war es Chuck gewesen, der ins Haus gerannt war und dafür gesorgt hatte, dass alle sicher nach draußen kamen. Aber vor Frauen kapitulierte er. Lee fragte nicht einmal, weswegen Krieger so sauer war – das würden sie schon noch früh genug herausfinden.
    »Okay«, sagte er, »wir sind unterwegs.«
    Butts legte auf, als der Himmel sich noch weiter öffnete und eine biblische Sintflut auf sie herniederging. Der Regen auf dem Autodach war so ohrenbetäubend, als ob jemand da oben saß und den Wagen wie eine Trommel mit Schlagstöcken bearbeitete. Lee ging vom Gas und stellte die Scheinwerfer an.
    Chuck brauchte Rückendeckung, aber selbst die beste Deckung war

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