Wehe Dem, Der Gnade Sucht
checkten die Fakten, wenn nötig mit Butts’ Notizen.
»Wir haben eine Liste mit Leuten, denen Ana Watkins ihre Töpfersachen verkauft hat«, sagte Butts. »Mal sehen, was ich in der Richtung herausfinden kann. Bisher sind es nicht mehr als nur ein paar Namen, wird nicht ganz einfach.«
»Vielleicht kann Ihnen Sergeant Ruggles dabei helfen«, schlug Chuck vor.
»Schon irgendwelche Ergebnisse von der Spurensicherung?«, fragte Krieger.
»Tatsächlich eine interessante Auffälligkeit«, sagte Chuck.
»Was denn?«, erkundigte sich Lee.
»Der Drohbrief, den Ana dir gegeben hat …«
»Wissen Sie etwa schon, wer ihn verfasst hat?«, fragte Butts und nahm sich einen Kaffee.
»Ja. – Sie selbst.«
Butts stand mit offenem Mund und aufgerissenen Augen da. Er sah aus wie eine erschreckte Bulldogge.
»Die Wörter waren aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, die in ihrem Haus gefunden wurde.«
»Aber warum sollte sie so etwas fabrizieren«, überlegte Krieger, »wenn sie wirklich verfolgt wurde?«
»Vielleicht damit sie jemand ernst nimmt«, schlug Lee vor.
»Oder«, ergänzte Butts, »ihr Freund steckt dahinter. Er war schließlich bei ihr im Haus.«
»Aber wieso verwischt er seine Spuren dann nicht besser und lässt die Zeitschrift da herumliegen?«, insistierte Chuck.
»Um ihr Angst zu machen«, schlug Butts vor. »Da habe ich schon schrägere Sachen erlebt, das können Sie mir alle glauben.«
»Nein, das halte ich für unwahrscheinlich. Wieso sollte er sich verdächtig machen, indem er die Zeitschrift auch nach ihrem Tod da herumliegen lässt?«, widersprach Chuck.
»Man hat die Zeitschrift nach Fingerabdrücken abgesucht«, fuhr Chuck fort. »Darauf befanden sich nur die von Ana Watkins.«
»Falls es doch ihr Freund war, könnte er Handschuhe …«, meldete sich Butts wieder.
»Weitere Erkenntnisse von den Kollegen?«, stoppte ihn Lee.
»Nein«, sagte Chuck. »Und auch nichts am Tatort, was ja nicht überraschend ist. Der Fluss hat alles weggespült.«
»Schlau, eine Leiche auf diese Art zu entsorgen«, sagte Krieger. »Sehr effektiv.«
»Das ist nicht der einzige Grund, warum er es so macht«, entgegnete Lee. »Wasser hat für ihn eine besondere Bedeutung – es ist das einzige Element, das all seine Verbrechen gemeinsam haben. Ich bin ganz sicher, dass es zu seiner Signatur gehört.«
Krieger runzelte die Stirn. »Glauben Sie wirklich an diesen ganzen Kram mit der Signatur?«
Lee starrte sie an.
Butts antwortete für ihn. »Was soll die Frage?«
»Na ja, dass diese Täter ein gewisses Ritual durchführen bei ihren Morden, aus dem sie ihre Befriedigung ziehen, das ist doch alles ein bisschen unwissenschaftlich, oder?«
»Es geht dabei nicht unbedingt um ein Ritual«, erklärte Lee ruhig. »Eher darum, dass gewisse Details immer wiederkehren.«
»Aber das ist doch eine noch nebulösere Beschreibung. Ich meine, wir haben es hier mit einem Verbrecher zu tun, der seine Opfer bevorzugt ins Wasser legt – was hilft uns die Erkenntnis, wenn wir ansonsten keine Spuren haben?«
»Es sagt uns etwas über sein Wesen, seine Persönlichkeit«, antwortete Lee.
»Okay, kann ja sein, dass er in seiner Kindheit irgendein Wassertrauma hatte«, sagte Krieger. »Ich wüsste nicht, inwiefern uns das weiterhilft. Und nach allem, was ich gelesen habe, kann sich eine solche angebliche Signatur im Laufe der Zeit verändern. Damit ist das Ganze doch vollkommen wertlos.«
»Das ist es nicht«, entgegnete Lee, »es macht die Sache lediglich komplexer.«
»Und diese ganze Terminologie, die immer wieder herangezogen wird – Psychopath, Borderline und so weiter. Mir ist es egal, ob jemand ein Psychopath ist – es bringt uns nämlich keinen Schritt dabei weiter, ihn zu schnappen.«
»Der genaue Fachausdruck lautet Soziopath«, korrigierte Lee.
Krieger verdrehte die Augen und wollte gerade etwas erwidern, doch Butts war schneller.
»Okay, war’s das dann mit der Diskussion?«, fragte er ärgerlich. »Können wir weitermachen?«
Krieger nahm die Schultern zurück. »Ich wollte uns nur unnötige Zeit und Arbeit ersparen.«
»Tun Sie uns einfach allen einen Gefallen und lassen Sie das in Zukunft, okay?«, bellte Butts.
»Das reicht jetzt, Sie beide«, sagte Chuck. Er sah Krieger an und versuchte, ruhig zu bleiben. »Forensische Psychologie mag keine vollkommen exakte Wissenschaft sein – das ist wohl keine Methode der Kriminalistik –, trotzdem stehen uns bessere Werkzeuge derzeit nicht zur Verfügung. Können
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