Wehe Dem, Der Gnade Sucht
Sie geben so ein angenehm warmes Licht.«
Perkins reichte dem Detective eine zarte blaue Porzellantasse. Deren Wände waren so dünn, dass man fast hindurchsehen konnte. Das Porzellan selbst war weiß, die Glasur blau wie der Himmel über dem Mittelmeer. Eindeutig Knochenporzellan, wie Lee sofort erkannte. Die feinen Risse in der Glasur bewiesen, dass es sich um antike Stücke handelte.
»Das Porzellan ist von Spode«, erklärte Perkins. »Falls Sie derlei interessiert. Blue Italian, zirka 1860.«
Lee zog eine Augenbraue hoch und musterte die Tasse.
»Wie ich sehe, ist Ihnen das ein Begriff«, sagte Perkins lächelnd.
»Mir nicht«, sagte Butts. »Keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Josiah Spode hat die Technik der blauen Glasur in England perfektioniert. Ende des 18. Jahrhunderts übrigens. Und dann hat er auch noch das Knochenporzellan entwickelt, indem er bei der Herstellung von Porzellan Knochenasche beimengte. Darauf waren die Chinesen schon Jahrhunderte vorher gekommen«, führte Perkins aus, tat sich Zucker in den Tee und rührte um. »Es ist das kostbarste Porzellan in England. Zart, und dennoch nicht zerbrechlich.«
»Aha.« Butts wirkte nicht besonders beeindruckt.
»Mögen Sie Antiquitäten, Dr. Campbell?« Perkins nahm auf einem kleinen Sofa Platz. Es war mit einem Stoff in gold-blauem Blumenmuster bezogen.
»Meine Mutter ist die Expertin dafür in der Familie«, antwortete Lee.
»Dann müssen Sie sie bei Gelegenheit einmal mitbringen. Ich führe sie dann gern durch mein kleines Haus. Bestimmt findet sie hier das eine oder andere, was ihre Aufmerksamkeit erregt. Und ich freue mich immer über eine verwandte Seele.«
»Sehr freundlich, aber sie lebt in Texas.«
Lee wich Butts Blick aus, der ja wusste, dass das gelogen war.
Der Detective räusperte sich. »Sie und Ihre Schwester sind also … wiedergeboren?«
»Ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen«, sagte Perkins. »Tatsächlich hätte ich es nicht einmal erwähnt, wenn die Sprache nicht auf die Antiquitäten und den Grünen Mann gebracht worden wäre.«
Butts runzelte die Stirn. »Was hat denn das mit dem Grünen Mann zu tun?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Perkins. »Ich erkläre Ihnen das lieber ein andermal.«
»Wo ist denn Ihre Schwester heute?«, fragte Butts und schaute sich um. Es war still im Haus.
»Oh, Charlotte musste ganz plötzlich ins Krankenhaus«, sagte Perkins. »Sie ist Hebamme, und eine ihrer werdenden Mütter bekam eine Woche vor dem errechneten Termin die Wehen.«
»Ja, das war bei meinem Sohn genauso«, sagte Butts. »Der ist auch vor der Zeit gekommen. Meine Frau stand gerade im Kaufhaus in der Haushaltswarenabteilung.«
»Wie interessant«, murmelte Perkins. »Haben Sie eigentlich irgendwelche Hobbys, Detective?«, fragte er und lehnte sich zurück. Auf den ersten Blick wirkte er vollkommen entspannt, aber er blinzelte oft, und seine Hand zitterte leicht. Lee vermutete, dass seine Ruhe nur gespielt war – eine Pose wie alles bei Perkins.
»Das Feld überlasse ich meiner Frau«, erwiderte Butts. »Die hat dafür Zeit. Ich bin meistens mit der Verbrecherjagd voll ausgelastet.« Er sah Perkins vielsagend an.
»Das kann ich mir vorstellen.« Perkins hob die Tasse an die Lippen und nahm einen vornehm kleinen Schluck. Dabei berührte er den Tassenrand kaum. Wieder kam er Lee vor wie ein Schauspieler, der in eine Rolle geschlüpft war. Lee wusste nur noch nicht genau, in welche.
»Um noch einmal nachzufragen – haben Sie immer gewusst, dass Sie wiedergeboren sind?«
»Nein.« Perkins stellte die Tasse ab. »Charlotte und ich gehören zum neuen Heidentum. Eine moderne Form der alten keltischen Religion. Daher auch der Grüne Mann auf der Veranda. Er ist für Menschen unseres Glaubens ein wichtiges religiöses Symbol.«
Lee schaute schnell zu Butts hinüber, aber der legte jetzt eine wirklich vorbildliche Selbstbeherrschung an den Tag. Seine Miene verriet weder Belustigung noch Unglauben.
»Erzählen Sie mir darüber doch bitte ein bisschen mehr«, forderte Lee Perkins auf.
»Gern. Wie die Buddhisten glauben Neuheiden an die Wiedergeburt. Wenn wir auch unterschiedliche Ansichten über deren konkrete Manifestation haben. Als wir zum Alten Pfad gefunden haben, wie wir unsere Religion nennen, entdeckten Charlotte und ich, dass wir reinkarnierte Seelen aus dem 19. Jahrhundert sind. Die Seelen eines Ehepaars, um genau zu sein. Zweifellos ist Ihnen aufgefallen, dass wir uns gewissermaßen altmodisch
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