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Wehe wenn der Wind weht

Wehe wenn der Wind weht

Titel: Wehe wenn der Wind weht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Benommenheit sie übermannte. Was tat ihre Mutter? Sie hatte das Gefühl, auseinandergerissen zu werden, das Gefühl, daß ihr Inneres aus ihr herausplatzte.
    »Mama, bitte ...«
    Aber Edna war mitleidlos.
    »Diana«, fragte sie, wobei ihre Stimme plötzlich sehr verständig klang. »Wenn Christie das Küken nicht getötet hat, wer dann? Außer uns dreien ist niemand hier?«
    Widerwillig erwiderte Diana den Blick ihrer Mutter, und als sie sprach, spottete ihr Stimmfall ihrer Worte. »Ich - ich verstehe nicht.«
    Edna lächelte triumphierend. »Weißt du, daß vergangene Nacht der Wind geweht hat, Diana?«
    Diana nickte und kaute auf ihrer Unterlippe. »Er hat mich wach gehalten.«
    »Er hält dich immer wach, nicht wahr?« Ednas Tonfall war fast hypnotisch geworden, aber Diana schüttelte nachdrücklich ihren Kopf. »Nicht immer«, erwiderte sie mit zitternder Stimme. »Nicht mehr. Das war früher so, aber jetzt nicht mehr.«
    Edna fuhr fort. »Und du pflegtest seltsame Dinge zu tun, wenn der Wind wehte, nicht wahr, Diana?«
    Panik stieg in Diana auf, aber sie kämpfte dagegen an. »Ich will nichts hören, Mutter!«
    Edna starrte in ihre Kaffeetasse und lächelte dann Diana an. »Vielleicht hat Christie das Küken nicht getötet, Diana«, sagte sie leise. »Vielleicht lügt sie überhaupt nicht. Und wenn sie das nicht tut, ist es dann nicht viel wichtiger, daß sie uns verläßt? Was meinst du?«
    Dann erhob sich Edna und verließ die Küche, während Diana zitternd am Tisch saß.
    Ein Klumpen Furcht ballte sich in ihrem Magen und so sehr sie auch versuchte, ihn zu verdrängen, blieb er da und fraß an ihr.
    Hatte ihre Mutter vielleicht recht?
    Hatte sie selbst vielleicht das Küken getötet und erinnerte sich nicht daran?
    Undeutlich fiel ihr die Begebenheit mit Esperanzas Kätzchen wieder ein. Sie hatte sie vor Jahren aus ihrem Gedächtnis verdrängt, doch jetzt war sie wieder da, und sie wußte, daß es genauso geschehen war, wie ihre Mutter es erzählt hatte. Obwohl sie sich überhaupt nicht daran erinnerte, das Kätzchen erwürgt zu haben, wußte sie, daß sie es getan haben mußte.
    Die Furcht begann sie einzufangen.
    Was, wenn ihre Mutter recht hatte? Was, wenn sie das Küken getötet hatte und sich nicht daran erinnerte? Aber es konnte nicht wahr sein - sie würde nicht zulassen, daß es wahr wäre. Denn wenn es so war, dann wäre sie verrückt, und man könnte ihr Christie wegnehmen. Und das durfte nicht geschehen. Sie würde nicht zulassen, daß das geschah.
    Sie wußte, daß sie weinen mußte, aber sie konnte es nicht unterdrücken. Ganz langsam erst, dann immer schneller, begannen die Tränen zu fließen.

9
     
    eine woche später kamen die Kinder wieder.
    Diesmal waren sie zu dritt. Jay-Jay Jennings, Kim Sandler und Susan Gillespie. Diana sah sie über das Feld kommen, und als sie sich der Hintertür näherten, sprach sie zu Christie, und ihre Stimme war dabei kalt.
    »Warum benutzen sie nicht den Zufahrtsweg?«
    Christie schaute Diana wachsam an und überlegte, was sie sagen sollte. Sie hatte festgestellt, daß sie die Stimmungen ihres Vormundes nicht vorhersagen konnte und deshalb wählte sie ihre Worte vorsichtig, als sie sprach.
    »Es ist eine Abkürzung«, erklärte sie. »Wir kennen viele davon. Wenn man zum Beispiel von unserem Haus zu den Crowleys gehen will, kommt man am schnellsten über den Hinterhof der Gillespies und über Mrs. Berkeys Zaun dahin.«
    »Aber die Crowleys wohnen auf dieser Seite der Stadt«, stellte Diana fest.
    Christies Lächeln verschwand: Sie hatte einen Fehler gemacht. »Ich meinte nicht dieses Haus«, flüsterte sie. »Ich meinte unser Haus - mein Haus.«
    Diana spürte wieder Ärger aufsteigen. Dies war jetzt Christies Haus. Das andere Haus - das, in dem sie mit ihrem Vater gelebt hatte - war jetzt Vergangenheit. Ihre Hand hob sich fast wie aus eigenem Willen, um Christie ins Gesicht zu schlagen, aber ein leichtes Pochen an der Hintertür hielt sie davon ab. Christie glitt rasch von ihrem Stuhl, um ihre Freundinnen in die Küche zu lassen, während Miß Edna in der Tür des Speisezimmers erschien. Als sie die alte Frau sahen, verstummten die Begrüßungsworte auf den Lippen der Kinder, und Diana schaute nervös von ihrer Mutter zu den Kindern.
    »Mutter, möchtest du deinen Kaffee nicht im Salon trinken?« fragte sie.
    »Wenn du Zeit hast.« Obwohl sie mit Diana sprach, blieben ihre Augen auf die Kinder gerichtet. Jetzt wandte auch Diana ihre Aufmerksamkeit den Kindern

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