Wehrlos: Thriller
rosa Stoff bespanntes Stockbett und blaue Vorhänge mit Sternenmotiv, ein »Hello Kitty«-Schreibtisch und je ein Poster von Miley Cyrus und Lady Gaga. Grauenvoll, aber die beiden waren verrückt danach.
Er zog sein T-Shirt aus, warf Hose und Unterhose in eine Ecke und legte sich unter das verknitterte Laken. Heute Abend hatte er nicht einmal Lust gehabt, Anya anzurufen. Er stellte fest, dass er sich schon nach einem Monat mit ihr langweilte, ganz so wie im Frühjahr mit Ellen. Er würde sie nicht mehr anrufen, und irgendwann würde sie verstehen. Er griff nach dem Buch auf dem Nachtkästchen, das seine schlaflosen Nächte begleitete: ChinAfrique , eine bemerkenswerte journalistische Untersuchung. Das war jetzt genau das Richtige. Er las fünfzig Seiten und klappte das Buch zu. Dann knipste er die Nachttischlampe aus, drehte sich auf die Seite und schlief ein.
Um 5 . 55 Uhr riss ihn das Stück Resistance der Rockband Muse, das er als Handyklingelton gewählt hatte, aus dem Tiefschlaf. Wütend öffnete Samuel die Augen und tastete nach dem Störenfried, um ihn an die Wand zu schleudern. Sein Smartphone zeigte eine dänische Nummer. »Peter/Green Growth« versuchte, ihn zu erreichen.
Innerhalb einer Sekunde war Samuel hellwach. Er sprang aus dem Bett, und sein Blut begann zu zirkulieren.
» Hej , von Lommel am Apparat.«
» Hej , hier ist Peter von Green Growth. Ich habe eine wichtige Information für dich. Später gebe ich eine Pressekonferenz, aber du bekommst es exklusiv.«
Splitternackt, das Telefon ans Ohr gepresst, setzte sich Samuel an den Sekretär, der neben seinem Bett stand; das Leder des Stuhls klebte an seinem Hintern. Er schaltete die Architektenlampe ein, dann den Computer und griff nach seinem Notizblock. »Ich bin bereit.«
»Eines unserer Schiffe war Ziel eines Attentats.«
Samuel biss die Zähne zusammen. V erdammt, das ist gut. Das Blut pulsierte in seinen Schläfen. »Ich höre.«
■ ■ ■
Drei Stunden später testete Peter Tomasson, der Leiter von Green Growth Dänemark, das Mikro, das man in aller Eile im Besprechungsraum der Organisation aufgebaut hatte. Durch das offene Fenster schien die Sonne, der Himmel war wolkenlos. Es war noch immer angenehm warm, und in der Stadt ging es zu wie in einem Mittelmeerhafen. Das Hauptquartier von Green Growth, von den Anhängern kurz GG genannt, befand sich im Stadtteil Christianshavn, dem »Klein-Amsterdam« im Südosten von Kopenhagen. Es handelte sich um ein volkstümliches altes Fischerviertel mit niedrigen Häusern, das von Kanälen durchzogen war. Hier befanden sich auch die von den Behörden geduldete autonome Kommune »Freistadt Christiana« und die berühmte Frelsers Kirke, deren vierhundert Stufen hoher Glockenturm einen der schönsten Blicke über die Stadt bot.
Green Growth residierte seit zwanzig Jahren im zweiten Stock eines roten Ziegelbaus, der am Hauptkanal von Christianshavn lag und den Spitznamen »das Rote Haus« trug. Heute sah man am Ufer nur T-Shirts und Shorts, nackte Arme und Beine und Gruppen von Radfahrern. Schon zu dieser frühen Stunde roch es nach Blumen, Sonnencreme und warmem Bier.
Rund zwanzig dänische Journalisten und ausländische Korrespondenten, die am heutigen Morgen eingeladen worden waren, hatten sich, aufgeregt angesichts dieses außergewöhnlichen Vorkommnisses in dem ansonsten ereignisarmen Spätsommer, eilig auf den Weg zum Roten Haus gemacht. Alle hatten sie in der Früh die Information der AFP gehört, die von den dänischen Sendern übermittelt worden war, und sich geärgert, dass ihnen die französischen Kollegen zuvorgekommen waren. Sobald sich alle in dem Versammlungsraum einen Platz gesucht hatten, kehrte Ruhe ein. Die einen tranken Kaffee, die anderen betrachteten die Poster an den Wänden, die zur Rettung der Biodiversität oder zum Kampf gegen die Klimaerwärmung aufriefen. Wieder andere bereiteten bereits den Lead für ihre Artikel vor. Peter Tomasson, groß, blond und hager, mit einem offenen, klaren Blick, räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Nachrichten, die er bekannt gab, schienen ihm stets so sehr am Herzen zu liegen, dass ihm alle zuhörten, sobald er zu sprechen begann.
»Wir haben Sie heute Morgen hierhergebeten, um Sie über das Attentat zu informieren, das gegen unsere Organisation verübt worden ist«, erklärte er mit eindringlicher Stimme.
Die Reaktion war ein lastendes Schweigen. Mit gezückten Stiften lauschten die Journalisten gebannt seinen
Weitere Kostenlose Bücher