Wehrlos: Thriller
die nur Tadel und Verweise nach Hause brachte. Die einzige Ausnahme war der Aufstieg ihrer Volleyballmannschaft in die Regionalliga, was ihr allerdings nur ein gelangweiltes »das willst du doch wohl nicht dein ganzes Leben lang machen« seitens ihrer Mutter eingebracht hatte.
Als ihr Vater ihr im Alter von fünfzehn Jahren mit der Begründung, sie müsse sich nach dem Abitur auf eine Eliteuni vorbereiten, den Besuch eines Sportgymnasiums verweigert hatte, hatte sie ernsthaft rebelliert. In der Umweltbewegung hatte sie schließlich einen Ausweg, ein sinnvolles Ziel und einen Ersatz für ihre gleichgültige Familie gefunden. Nach einem Streit mit ihren Eltern, der heftiger ausgefallen war als die anderen, hatte sie mit achtzehn Jahren die Tür der gutbürgerlichen Wohnung für immer hinter sich zugeknallt. Als Untermieterin in einem Acht-Quadratmeter-Zimmer ohne Heizung hatte sie an der Universität Ökologie studiert. Lieber wäre sie erfroren, als in die Wohnung im 16 . Arrondissement zurückzukehren. Seither hatte sich die Kluft zwischen ihr und ihrer Familie vertieft und war nicht mehr zu überbrücken.
Als wolle sie auf Mortens stumme Frage antworten, murmelte sie: »Mit den Karlsens habe ich nichts mehr zu tun …«
Morten sagte nichts. Auch er hatte schon vor so langer Zeit mit seiner Familie gebrochen, dass ihm die Situation ganz normal vorkam. Plötzlich schien er sich an etwas zu erinnern und zog ein Handy aus seiner Jackentasche. »Ist das nicht deines? Wir haben es in deiner Kabine gefunden.«
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In der Cafeteria des Riget, die sich in der Eingangshalle des Krankenhauses befand, saß Samuel von Lommel an einem wackligen Plastiktisch inmitten all der Patienten und ihrer Familien und gönnte sich einen Espresso. Seine Reportage auf den Färöer-Inseln hatte er in Rekordzeit zusammengestellt: Hin- und Rückflug am selben Tag, dann mit dem Helikopter – zu einem sehr vernünftigen Preis – Klasvik und zurück. Die Agentur hatte die nötigen Mittel bereitgestellt. Er hatte die Polizisten befragt, die ebenso zurückhaltend waren wie die Bevölkerung. Einige Färinger waren dennoch bereit gewesen, die Fakten wiederzugeben, aber keiner wollte das Ereignis kommentieren. Dennoch hatte Samuel vor allen anderen Journalisten zwei Stimmungsbilder abschicken können, und zwar mit Fotos von den Lastwagen, die das Grindwalfleisch transportierten, und mit Bildern des von den blutigen Spuren des Massakers gezeichneten Strandes. Er konnte sich auch der Serendipity nähern, die zu Ermittlungszwecken am Kai lag. Und dank eines kleinen Trinkgeldes an der richtigen Stelle hatte er das zerfetzte Schlauchboot in Augenschein nehmen können, das sich in einem versiegelten Schuppen befand.
Punkt 15 . 00 Uhr hatte er den gut illustrierten Artikel vom Flughafen aus in das Ressort geschickt. Kurz darauf war er ins Englische und Spanische übersetzt und von allen Online-Nachrichtensendern übernommen worden. Zu diesem Zeitpunkt machten sich seine Kollegen gerade auf den Weg zu den Färöer-Inseln.
Bei diesem Gedanken lächelte Samuel und trank seinen Kaffee aus. Bin doch noch nicht ganz aus der Übung . Das Blut zirkulierte wieder in seinem Körper, die Depression der letzten Monate war verflogen und die Liebe zu seinem Beruf in ihrer ganzen Intensität neu erwacht. Um 17 . 30 Uhr war sein Flugzeug in Kopenhagen gelandet, und noch vom Taxi aus hatte er Peter angerufen. Jetzt belagerte er das Krankenhaus, um als Erster ein Interview mit den Opfern zu bekommen. Adrenalin war das beste aller Vitamine. Samuel beglückwünschte sich erneut, er hatte gute Arbeit geleistet.
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Rachel schaltete ihr Handy ein, das eine geladene Batterie anzeigte.
»Hat die Polizei etwas herausgefunden?«, fragte sie Morten.
»Sie geben nichts bekannt. Während der Evakuierung hat mich die Küstenwache verhört, als wäre ich für den Sabotageakt verantwortlich, um auf diese Weise › Werbung ‹ für uns zu machen. Ich glaube, sie hätten sich gewünscht, dass es einer von uns gewesen ist. Du weißt ja, wie sehr sie uns auf dem Kieker haben.«
Die dänische Polizei war eine Institution, die die Aktivisten aller Nichtregierungsorganisationen und Green Growth im Besonderen fürchteten, seit es im Umfeld des UNO -Gipfels 2009 in Kopenhagen zu willkürlichen und gewaltsamen Festnahmen gekommen war. Alle waren erkennungsdienstlich behandelt und zwei Dänen wegen »Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung« zu einem Jahr Gefängnis
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