Wehrlos: Thriller
Bildnis der Heiligen Jungfrau, einer mit dem des Papstes –, die sie um den Hals trug. »Aber ja, und das ist schon viel …«
Rachel runzelte die Stirn, der Schmerz begann erneut hinter ihren Augen zu pochen. Ihr wurde klar, dass Christa, die sie bislang eigentlich nicht für besonders religiös gehalten hatte, ihr nicht alles erzählte. Sie wusste, wie empfindsam ihre Schwiegermutter war, die seit Sachas Geburt unter großen Schuldgefühlen litt.
»Du darfst dich nicht zu sehr auf uns konzentrieren, Christa. Das ist für keinen richtig. Ihm geht es gut, mir geht es gut, also denk jetzt mal an dich selbst.«
Christa lächelte ihr zu, ihre Augen glänzten. »Wenn ich irgendeine Möglichkeit habe, Vergangenes wiedergutzumachen, dann nutze ich sie, das ist alles.«
Rachel seufzte. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du nichts wiedergutzumachen hast.«
»Das ist mein Problem«, entgegnete ihre Schwiegermutter.
Sacha aß schweigend und offensichtlich unbeeindruckt von der Unterhaltung der beiden Frauen in seinem Leben, seinen Müsliriegel. Rachel spürte, wie Angst in ihr aufstieg, doch sie wollte vor dem Kleinen keine ernsthafte Diskussion beginnen. Noch ehe sie etwas hinzufügen konnte, trat Morten mit einer Apothekentüte in der Hand ein.
»Hej!«
Es war eigenartig, diesen Seemann, den sie immer nur an Bord eines Schiffes und in Seekleidung erlebt hatte, nun in einem Jackett in diesem weißen, sterilen Ambiente zu sehen.
Seit sie in diesem Krankenhaus lagen, ging der Expeditionsleiter, wenn er nicht mit Peter telefonierte, von Zimmer zu Zimmer, um nach Joanna, Karl und Rachel zu sehen. Als er bemerkte, dass ihre Familie da war, trat er einen Schritt zurück.
»Ich komme später wieder«, sagte er entschuldigend.
Rachel machte sie miteinander bekannt, und Christa begrüßte den Kapitän. »Danke, dass Sie mich verständigt haben, Morten. Wir bleiben nicht lange. Sacha muss noch in die Badewanne, und morgen ist wieder Schule.«
Wie immer reserviert und verschlossen, hob Morten die Hand und zog sich zurück. Christa und Sacha blieben noch eine halbe Stunde, bis der Kleine die Zeichnung fertig gemacht hatte, die er dann stolz seiner Mutter reichte. Rachel betrachtete das Strichmännchen, die blauen Linien und die längliche Form mit Augen. »Was ist das, mein Liebling?«
Sacha erklärte: »Das bist du mit dem Wal im Meer.«
Rachel lächelte und legte das Bild auf ihre Knie. »Es ist wunderbar, ich behalte es bei mir. Danke, mein Herzblatt. Jetzt musst du in die Badewanne und zum Abendessen, damit du morgen fit für die Schule bist.«
Christa beugte sich wieder über ihre Schwiegertochter und küsste sie auf beide Wangen. »Also, ruhe dich aus und versuche, all das zu vergessen, versprochen?«
Rachel senkte den Blick. »Versprochen, wenn du dir auch etwas Ruhe gönnst und an dich denkst.«
Christa zog ein Buch aus ihrer Handtasche. Das in Pastelltönen gehaltene Cover zeigte ein sich umarmendes Paar und den Titel Königliche Liebe von Barbara Cartland. Mit einem Augenzwinkern legte sie es auf Rachels Bett. »Das ist besser als ein Beruhigungsmittel.«
»Danke«, sagte Rachel belustigt und zugleich gerührt.
Sie kannte Christas Leidenschaft für die Literatur und ihre Vorliebe für Liebesromane.
»Mach dir keine Sorgen«, erklärte ihre Schwiegermutter, »Sacha ist in guten Händen.«
»Ich weiß, Christa, ich weiß es wirklich.«
Christa trat hinter den Rollstuhl und löste die Bremsen.
»Auf geht’s, kleiner Mann, verabschiede dich von Mama.«
Sacha streckte seiner Mutter die Arme entgegen. »Küsschen, Mama.«
Rachel schloss ihn so fest in die Arme, wie es ihr schmerzender Körper zuließ. Der Junge schmiegte sein Gesicht an ihren Hals. »Ich will bei dir bleiben …«
»Ich hole dich bei Oma ab, sobald es mir besser geht.«
»Aber ich will bei dir bleiben, Mama!«
»Ich muss erst gesund werden, dann gehen wir beide nach Hause.«
Rachel sah, dass Sachas Kinn zitterte und dass seine Augen sich mit Tränen füllten. Er musste gehen, ehe auch sie anfangen würde zu weinen. Als sie dem Rollstuhl nachschaute, war ihr schwer ums Herz.
Bevor sie das Zimmer verließ, drehte sich Christa noch einmal um. »Übrigens, ich habe vor, in einer Woche mit Monica nach Rom zu reisen, um dort an einem mehrtägigen spirituellen Seminar teilzunehmen. Aber wenn es dir noch nicht gut geht, kann ich das natürlich verschieben.«
Neben ihrer Witwenpension und der eigenen Rente hatte Christa das Privileg,
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