Wehrlos: Thriller
hatte Peter an einem Aprilabend zu ihr gesagt, als sie sich im Pub in der Nähe des Roten Hauses ein Bier genehmigten. »Aber du kennst sie. Anfangs wird sie noch aufpassen, aber dann wird der Tag kommen, wo sie im Eifer des Gefechts, ohne nachzudenken, öffentlich irgendeine Gemeinheit über Reed äußert und damit all unsere Bemühungen um einen Überraschungseffekt zunichtemacht. Sie hat viele Qualitäten, sie ist eine gefürchtete Verhandlungspartnerin und bei Aktionen unschlagbar, aber man kann ihr kein Geheimnis anvertrauen. Sie redet zu viel.«
Bekümmert hatte Rachel sich schließlich Peters Meinung angeschlossen.
»Und wenn sie es irgendwann erfährt und deshalb gekränkt ist«, hatte Peter hinzugefügt, »übernehme ich die volle Verantwortung.«
»Und was ist mit den anderen?«
»Da gilt dasselbe. Paula, Frederik, Karl, Hanne … damit unsere Schachzüge gelingen, müssen sie, auch intern, bis zum letzten Augenblick geheim bleiben, das wissen alle. Du hast schließlich auch nichts gesagt, als du von der Geheimaktion gegen Etton Mobile erfahren hast, oder? Du hast es normal gefunden, dass wir die Sache verschwiegen haben, stimmt’s?«
»Ja.«
»Gut, da siehst du’s. Noch ein Bier?«
Rachel räusperte sich und hielt Joannas Blick stand. Nur noch acht Tage, dann konnte sie ihr die ganze Wahrheit enthüllen.
»Weißt du, wer mich besucht hat?«, fragte diese. »Samuel von Lommel von der AFP .«
Der Blick der hübschen Dänin wurde lebhaft, wenn sie vom männlichen Geschlecht sprach.
Rachels Miene hingegen verfinsterte sich. »Mich hat er angerufen. Ich habe ihn abgewimmelt.«
Joanna zog die Augenbrauen hoch. »Warum? Das ist genau die Art von Typ, die wir jetzt brauchen.«
»Nach dem Ei, das er uns gelegt hat?«
»Denkst du immer noch daran? Es ist gut, Rachel, vergiss es.«
»Er hat uns benutzt, hat nicht aufgehört, Informationen aus uns herauszuquetschen, und dann › vergessen ‹ , uns zu warnen, als wir in Gefahr waren. Ich finde, das gibt durchaus Anlass, ihm noch eine Weile böse zu sein.«
Als die Nichtregierungsorganisationen aus dem Bella Center ausgebootet wurden, hatten sie keine Zeit mehr gehabt, sich zu organisieren und zu wappnen. Man hatte sie aus dem Tagungszentrum vertrieben und später festgenommen. Samuel von Lommel war durch seine Quellen auf dem Laufenden gewesen und hatte eine Agenturmeldung herausgegeben, ohne es für nötig zu befinden, sie zu warnen – weder sie persönlich noch die anderen Gruppen. Rachel hatte ihm das nicht verziehen.
»Was hätten wir denn noch groß tun können?«, entgegnete Joanna.
»Wir wären aktiv geworden. Er hätte uns Bescheid geben müssen, sobald er die Info hatte. Das wäre doch das Mindeste gewesen.«
»Ach ja, und warum hätte er das tun sollen?«
Rachel zögerte mit ihrer Antwort. Sie dachte an die intime Beziehung, die sich zwischen ihr und Samuel angebahnt hatte. Schließlich zog sie es vor zu schweigen. Noch etwas, was sie bewusst vor ihrer Freundin verborgen gehalten hatte, weil es dazu nichts zu sagen gab. Vielleicht hatte sie auch befürchtet, die hübsche Dänin, die eine unglaubliche Aufreißerin war, hätte sich über sie, die weniger Erfahrene, lustig gemacht.
Joanna schaute ihrer Freundin prüfend ins Gesicht. »Ich wette, du hast mit ihm geschlafen.«
»Nein!«, verteidigte sich Rachel. Ihre Wangen röteten sich.
»Dann hattest du zumindest ein Auge auf ihn geworfen?«
»Aber nein, was erzählst du denn da!«
Joanna zwinkerte ihr schelmisch zu. »Umso besser. Dann stört es dich also nicht, wenn ich mich mit ihm treffe, sobald ich hier die Fliege mache?«
Rachel zuckte mit den Schultern. »Tu, was du nicht lassen kannst.«
» Great . Er gefällt mir nämlich. Aber einstweilen meldest du dich bei ihm und bist recht freundlich, damit er einen schönen Artikel über uns schreibt. Wir sind mitten in einer Kampagne, da brauchen wir die maximale Medienpräsenz.«
Rachel stand auf. »Okay. Dann gehe ich jetzt wieder, ich muss zurück an die Arbeit. Es freut mich, dich in so guter Form zu sehen.«
»Mich auch. Was ist übrigens mit Sacha? Mit seinen Beinen?«
Rachel lächelte breit. »Er kann sie heben und hat mit seinem Laufwagensogar zwei Schritte gemacht!«
»Das ist überwältigend …«
»Überwältigend, das ist genau das richtige Wort, ja.«
Ein Schatten glitt über Rachels Gesicht. »Sag mal ganz ehrlich, Joanna, du kennst doch Christa. Könntest du dir vorstellen, dass sie ihn zu einem Arzt mitgenommen
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