Wehrlos: Thriller
hatte, war sie sehr angerührt von dem leblosen kleinen Körper, und Tränen liefen über ihre glatten Wangen. Sie konzentrierte sich auf das, wofür sie hier war. Sie dachte an Sacha. Dann begann sie laut zu beten, während sie mit einer Hand zur Schere griff.
KAPITEL ZEHN
In den Büros von Green Growth herrschte Ruhe. Im Eingang saß Jon, der für den Empfang und die Telefonanlage zuständig war, an seinem halbkreisförmigen Schreibtisch. Hinter ihm lag ein heller Korridor, von dem fünf verglaste Büros abgingen, die jeweils mit einem großen Doppelfenster auf den Kanal blickten. Peter hatte sich für diese Anordnung entschieden, weil sie den Austausch erleichterte und jedem zugleich die Möglichkeit gab, sich zurückzuziehen, um in Ruhe zu arbeiten. Am Ende des Flurs befand sich ein großer, offener Raum mit einem Dutzend Arbeitsplätzen und Internetzugängen, die den zumeist ehrenamtlichen Redakteuren und mit verschiedenen Nachforschungen betrauten Aktivisten vorbehalten waren. Der hintere Teil dieses Open Space war durch Zwischenwände abgetrennt und diente als Versammlungsraum und als Pressesaal.
Von ihrem Mountainbiketrip leicht außer Atem und mit geröteten Wangen lief Rachel an den ersten vier Glaskästen – in denen Peter, die Rechtsabteilung, die Buchhaltung und die PR -Abteilung residierten – vorbei und stellte ihre Tasche in dem fünften Raum ab, der momentan ihr Büro war.
Die Versammlung hatte pünktlich um 10 . 30 Uhr begonnen. Zwei Minuten später betrat Rachel, mit Stift und Notizblock bewaffnet, den Raum. An dem ovalen Tisch saßen Paula, Frederik, Peter sowie Kim, Oliver und Hanne. Durch die geöffneten Fenster drangen die Schreie der Möwen herein, und eine leichte Brise spielte mit den dünnen Vorhängen.
»Welcome home!« Kim, die Buchhalterin, sprang spontan auf, um Rachel zu umarmen.
»Hallo zusammen«, rief Rachel in die Runde. »Ich freue mich, euch zu sehen.«
»Wie geht es dir?«, fragte Oliver, zuständig für Presse und PR , mit einem breiten Lächeln.
»Ich habe das Gefühl, unter einen Laster gekommen zu sein, aber sonst ist so weit alles in Ordnung! Ich war gerade im Riget, Joanna geht es langsam besser. Sie wartet nur auf den Arzt, der ihre Entlassung unterschreiben muss.«
»Super«, meinte Peter.
»Was Karl betrifft, so können sie jedoch immer noch keine verbindlichen Aussagen machen.«
»Ich besuche ihn später«, erklärte Peter mit finsterer Miene. »Wir haben alle ein paar Zeilen an seine Familie geschickt. Im Moment bleibt uns leider nichts anderes, als abzuwarten.« Er seufzte. »Wir haben gerade angefangen, und ich habe dargelegt, dass sich unser Timing aufgrund der aktuellen Ereignisse verändern wird.«
Rachel nahm auf dem letzten freien Stuhl Platz.
Sie mochte alle, die um diesen Tisch saßen – mit Ausnahme vielleicht von Hanne, einer hübschen, etwas gekünstelten Frau, die die Juristin der Organisation und auch die Exfreundin von Niels war. Kurz gesagt, Niels hatte Hanne während einer Kampagne gegen den Thunfischfang wegen Rachel verlassen – es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Die Sache lag schon fünf Jahre zurück, aber Hanne hatte ihr noch immer nicht verziehen. Rachel konnte das zwar verstehen, vielleicht hätte sie selbst auch nicht anders reagiert, dennoch sagte sie sich, dass inzwischen genug Zeit vergangen war. Hanne lebte jetzt mit einem Yogalehrer zusammen, und die beiden hatten seit zwei Jahren eine kleine Tochter. Trotzdem hatte sie das Kriegsbeil nie ganz begraben. Und als sich Niels nach Sachas Geburt aus dem Staub gemacht hatte, hatte Hanne eine Genugtuung empfunden, die sie nicht hatte verbergen können oder wollen. Seither hatte sich ihre Beziehung etwas entspannt. Doch diese vordergründige Freundlichkeit wich bei der ersten Meinungsverschiedenheit einer kaum verhohlenen Antipathie. Peter verabscheute diese privaten Animositäten, die nichts mit der Arbeit zu tun hatten, und versuchte, die beiden Frauen nicht gemeinsam einzusetzen.
Hanne begnügte sich damit, Rachel zuzunicken, als diese Platz nahm und sich ein Glas Wasser einschenkte. Rachel hingegen konzentrierte sich ganz auf Peter und stellte nebenbei fest, dass sein schwarzes T-Shirt das kantige Gesicht und die strahlend blauen Augen betonte. So ähnelte er noch mehr als sonst einem Messias, der die Rettung des Planeten predigte. Sie hatte große Hochachtung für ihn und war stolz, für ihn arbeiten zu dürfen.
Ohne Peter wäre Rachel nicht weitergekommen. Sie
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