Wehrlos: Thriller
herauszufinden, wer sie unterstützte und finanzierte. Und im Laufe der Zeit hatten Rachel und Jesus das Ausmaß des Skandals aufgedeckt. In neunzig Prozent aller Fälle war Reed direkt oder indirekt an der Finanzierung beteiligt. Ende März verfügten Rachel und Jesus über genügend Informationen, um Reed Industries als Dreh- und Angelpunkt der Antiklimakampagne zu denunzieren, mit der versucht wurde, jegliche Umweltschutzgesetzgebung zu verhindern.
Aber die Zeit hatte gegen sie gearbeitet. Das Scheitern des Kopenhagener Gipfels hatte das Medieninteresse am Klimawandel nachhaltig gedämpft. Zeitungen, Fernseh- und Radiosender wollten nichts mehr zu diesem Thema veröffentlichen, und auch im Internet war Ruhe eingekehrt. Im April waren Rachel ernsthafte Zweifel gekommen. Der Klimawandel war im politisch-medialen Sektor derart abgewertet, dass ihre Enthüllungen ein großer Flop hätten werden und Hannibal Reed sich unbeschadet aus der Affäre hätte ziehen können. Es wäre besser gewesen, früher mit dem Skandal an die Öffentlichkeit zu gehen, wie Jesus von Anfang an vorgeschlagen hatte. Ihr Fehler war ein Übermaß an Vorsicht gewesen. Die Entmutigung hatte ihr jeden Elan genommen.
Am Wochenende vor Ostern, als sich die Green-Growth-Büros langsam leerten, war sie zu Peter gestürmt, hatte sich mit verschränkten Armen vor ihm aufgebaut und angefangen zu berichten: Jesus, Reed und sein Netzwerk. Ihr Chef hatte aufmerksam zugehört, ohne sie zu unterbrechen. Rachel rechnete mit einem Tadel, im Stil von »du hättest früher mit mir darüber reden sollen« oder »seit wann sind wir Einzelkämpfer?« oder »du verfolgst damit nur persönliche Ziele«. Aber nein. Nachdem er sich alles angehört hatte, hatte er die Augen zusammengekniffen und gesagt: » Good Job .«
Trotzdem hatte Rachel mit Entschuldigungen begonnen, die niemand von ihr verlangte.
»Ich hätte früher mit dir darüber sprechen sollen. Aber nach der Sache mit den Kapseln hatte ich Angst, einen Fehler zu machen. Ich wollte sicher sein, alle Beweise zu haben und sämtliche Quellen aufzudecken. Und jetzt will niemand mehr etwas vom Klimawandel wissen. Die ganzen Nachforschungen waren umsonst, und Reed wird erhobenen Hauptes aus der Sache hervorgehen. Ich habe Mist gebaut, zu lange gewartet, es tut mir leid.«
Peter hatte seinen Stift zwischen den Fingern gedreht.
»Glaub das nicht. Weißt du, dass Reed bestimmte Aufträge von der Solarindustrie möchte? Und wenn er das versucht, schlagen wir zu. Wir brauchen nur die richtige Gelegenheit abzuwarten.«
Die richtige Gelegenheit hatte sich im Juni in Form eines Artikels in einer Wirtschaftszeitung präsentiert. Seit Wochen lag Rachel wie ein Raubtier auf der Lauer. Sie wartete, dass Reed an die Öffentlichkeit trat, und las alles, was den amerikanischen Energiesektor betraf. Am 10 . Juni hatte sich ihre Beute bewegt. Die amerikanische Regierung hatte den Bau des größten Solarkraftwerks der Welt ausgeschrieben. Es sollte in Kalifornien errichtet werden und »Sola ï a« heißen. Reed Industries hatten sich mittels ihrer neuen deutschen Filiale Solar Konsortium beworben. Sie hatten eine hervorragende Präsentation abgeliefert und zählten zu den Favoriten. Am 2 . September 2010 sollte der Zuschlag erteilt werden.
Rachel hatte die Zeilen immer wieder gelesen, bis ihr die Bedeutung des Artikels klar geworden war. Dann hatte sie gelächelt. Jetzt habe ich ihn .
Das Timing musste präzise und perfekt sein. Am Morgen des 2 . September würde Green Growth die Bombe platzen lassen. »Die ökologische Farce von Reed Industries«. Pressekonferenz, Veröffentlichung des Dossiers mit großem Tamtam, Wiederaufgreifen des Themas in den Blogs. Alles, um genug Aufsehen zu erregen, damit die Sache der amerikanischen Vergabekommission zu Ohren käme und ihre Entscheidung beeinflusste.
Wenn sie noch dazu nachweisen könnten, dass Reed hinter dem Attentat auf den Färöer-Inseln steckte, wäre der Ruf des Industriellen ernsthaft geschädigt.
Vom Kirchturm aus betrachtete Rachel missmutig die schwarzen Regenwolken, die über dem Meer aufzogen und ihren Schatten schon auf den Hafen warfen. Sie dachte, dass sie für den Fall eines Schauers keinen Schirm mitgenommen hatte.
Die tragische Ironie des Schicksals wollte, dass Jesus nicht erfahren würde, dass sich seine hervorragenden Recherchen gelohnt hatten. Einen Tag bevor Rachel den Artikel über Solaïa gelesen hatte, am 9 . Juni, hatte ein Pick-up an einer
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