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Wehrlos: Thriller

Wehrlos: Thriller

Titel: Wehrlos: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Familie werden.
    Während der Entbindung hatte diese Illusion konkrete Formen angenommen, denn Niels war so präsent gewesen wie nie zuvor. Ab den ersten Wehen war er nicht von Rachels Seite gewichen, hatte ihr die folgenden zehn Stunden gut zugesprochen, ihr den Rücken massiert, um den Schmerz zu lindern, sie, als es so weit war, ermutigt zu pressen, und den Kreißsaal beherrscht wie ein dominantes Männchen. In jenen Momenten der körperlichen Qualen, der Hingabe und der ungeschminkten Wahrheit hatte sich Rachels Herz angesichts dieser unerwarteten Zärtlichkeit geöffnet. Als man ihr Sacha, in ein blaues Tuch gehüllt, auf die Brust legte, hatte sie gesehen, wie die Augen des Vaters feucht wurden. Alle Fragen hatten plötzlich ihre natürliche Antwort gefunden, und sie hatte zu weinen begonnen. Tränen der Freude und der Erleichterung. Ihre panische Angst, im Stich gelassen zu werden, hatte sich gleichsam in Luft aufgelöst. Sie hatte gehofft, endlich den Mangel an Zuwendung, unter dem sie von klein auf gelitten hatte, überwunden zu haben. Das war, bevor die Hebamme die verdächtige rosa Verwachsung im Lendenbereich des Neugeborenen bemerkte und diskret den Arzt rief.
    Bei dieser intensiven und zugleich schmerzlichen Erinnerung schnürte sich ihr die Kehle zusammen, während sie vorsichtig Sachas Rücken einseifte. Diese wenigen perfekten Minuten, in denen sie endlich das Glück zu dritt erreicht zu haben glaubte, hatten sie Hoffnung schöpfen lassen. Bis alles ins Wanken geraten war.
    Als Professor Hansen gekommen war, um den Eltern einfühlsam mitzuteilen, dass der Säugling einen Rückenmarksschaden hatte, hatte Rachel bei dem ausweichenden Blick von Niels sofort gewusst, dass er nicht bleiben würde. Kurz darauf hatte er sich auf einem Trawler der Sea Shepherd eingeschifft, der die japanischen Waljäger verfolgte. Einem ebenso wortreichen wie schwerfälligen Brief hatte sie entnommen, dass er nicht in absehbarer Zeit zurückkehren, ihr aber etwas Geld schicken würde. Seither hatte sie nicht mehr viel von ihm gehört.
    Rachel betrachtete den zarten Jungen, der sie so sehr brauchte. Du hättest einen besseren Vater verdient und auch eine bessere Mutter . Sie vertrieb das Bild von Niels und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt.
    Die Atmosphäre im Badezimmer war entspannt und friedlich. Rachel hatte das Gefühl, dass dies der richtige Augenblick war, um alle Zweifel zwischen ihr und ihrer Schwiegermutter auszuräumen. Sie schlug einen unbeschwerten Ton an.
    »Morgen kommt Hansen von seinem Kongress zurück. Sacha hat einen Termin bei ihm, damit er seine Beine untersuchen und ein neues Programm für die Physiotherapie erstellen kann.«
    »Sehr gut!«, meinte Christa. »Das musst du mir dann unbedingt erzählen.«
    Rachel räusperte sich. »Übrigens, Sacha hat mir heute Morgen eine komische Geschichte berichtet. Er hat von einem › chinesischen Doktor ‹ gesprochen, der ihm › Spritzen gegeben ‹ hat. Er hat auch einen blauen Fleck auf dem Rücken. Kannst du dir das erklären?«
    Ohne sie anzusehen, schäumte Christa etwas Seife in ihre Hand und rieb energisch den Arm ihres Enkels. »Was hast du der Mama denn da erzählt, Sacha?«
    Sacha schob die zitternde Unterlippe vor.
    »Das habe ich dich gefragt«, erklärte Rachel, die sofort auf der Hut war.
    Christa spülte ihre Hände im Wasser ab und trocknete sie ab. Dann sah sie ihrer Schwiegertochter in die Augen. »Ich wollte nicht mit dir darüber reden, weil du die alternative Medizin – die Homöopathie mal ausgenommen – ablehnst.«
    »Kannst du das bitte etwas genauer erklären?«
    »Ich habe Sacha mit zu meinem Akupunkteur genommen.«
    Sache ahmte ein Motorengeräusch nach, während er seinen Ski-Doo unter Wasser sinken ließ. Rachel runzelte die Stirn.
    »Zu deinem Akupunkteur?«
    »Ja, zu dem chinesischen Arzt, bei dem ich mich behandeln lasse. Habe ich dir das nicht erzählt?«
    »Nein. Und er hat bei Sacha Nadeln gesetzt?«
    »Ja, einmal vor einer Woche«, gab Christa zu. »Er meinte, das könne seinem Rücken guttun. Und wer weiß, vielleicht geht es ihm ja darum jetzt besser.«
    Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, aufzubrausen oder in Gelächter auszubrechen, betrachtete Rachel ihre Schwiegermutter. »Und das ist alles? Akupunktur?«
    Christa zuckte mit den Schultern.
    »Aber ja, was hast du denn gedacht?«, fragte sie in selbstsicherem Tonfall.
    Rachel begann zu lachen. »Nichts, ist schon gut. Ich habe mich idiotisch

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