Wehrlos: Thriller
nach Dänemark verschlagen. Wie bist du nach Kopenhagen gekommen?«
»Mein Vater ist Däne, und nachdem ich für Green Growth Kopenhagen gearbeitet habe, habe ich den Schritt gewagt. Und du?«
Es war das erste Mal, dass sie über etwas anderes als Politik oder den Klimawandel sprachen. Mit wenigen Worten fasste Samuel seine Kindheit am Kap zusammen, wohin sein Vater als Mitarbeiter einer französischen Bank versetzt worden war, sein Politikstudium in Paris, die Journalistenschule, seine Anfänge als Reporter in aller Welt, sein schwieriger Alltag in Johannisburg und dann schließlich seine Anstellung als AFP -Korrespondent.
»Ich habe dort unten eine Dänin geheiratet, die schließlich zurückgehen wollte. Als wir endlich hier waren, haben wir uns scheiden lassen. Wie Frauen eben so sind.«
Rachel kniff die Augen zusammen. »Ich habe auch mit einem Dänen gelebt. Und als der Kleine geboren wurde, ist er abgehauen. Wie Männer eben so sind.«
Ein Schatten glitt über Samuels Gesicht, dann tauschten sie einen verständnisvollen Blick. »Also auch Kinder …«, fuhr er fort.
»Einen kleinen Jungen von dreieinhalb Jahren. Und du?«
»Zwei Mädchen, sechs und acht. Ich bin verrückt nach ihnen.«
Samuel zeigte ein entwaffnendes Lächeln. In genau diesem Augenblick fühlte sich Rachel zum ersten Mal zu ihm hingezogen.
»Glaubst du noch an die große Liebe und die Ehe?«, fragte Rachel, vom Alkohol enthemmt.
An die Stelle des zärtlichen Ausdrucks trat ein spöttisches Lächeln, als von Lommel antwortete: »Nein, ich glaube nur noch an mich selbst.«
Verschmitzt meinte Rachel: »Wie schade …«
So flirteten die beiden weiter und vergaßen darüber Zeit und Umgebung. Sie schienen in einer Blase zu schweben, während sich die Sofas um sie herum langsam leerten. Samuel ließ sie nicht mehr aus den Augen, seine Pupillen waren geweitet, der Blick konzentriert. Er wollte alles über sie wissen, aus welcher Familie sie stammte, wie sie zu ihrem Engagement gekommen war.
»Bist du eine fanatische Umweltschützerin, die jeglichen Fortschritt ablehnt?«
»Aber nein«, widersprach Rachel lachend, »der Fortschritt ist phantastisch, solange man ihn bewusst einsetzt. Ich will weder bei Kerzenlicht leben noch auf mein Auto verzichten, wenn ich es brauche, und schon gar nicht auf das Flugzeug. Man muss eben ein bisschen bewusster leben.«
Samuel lächelte. Sie gefiel ihm immer mehr.
»Kommt es schon mal vor, dass du deinen Müll nicht trennst?«, neckte er sie mit glänzenden Augen.
»Ja«, antwortete sie leise und neigte sich zu ihm, als wolle sie ihm ein Geheimnis anvertrauen.
»Und ich muss gestehen, dass mir das manchmal ein schuldbewusstes Vergnügen bereitet.«
Ihre Gesichter berührten sich.
»Welche › schuldbewussten ‹ Sünden begehst du noch?«, flüsterte Samuel.
»Ich liebe ausgedehnte heiße Bäder.«
»Oh …«
Samuel rückte noch näher. »Das ist nicht gut für unsere Erde.«
»Ich weiß … aber ich mache es auch nicht oft.«
»Schade.«
Sie lachten beide.
Rachel war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Heute Abend wollte sie ausnahmsweise nicht mehr an ihre »Situation« als alleinerziehende Mutter eines behinderten Kindes denken. Sie wollte nur Rachel sein, um die dreißig, und unbeschwert flirten. Als von Lommel ihre Hand streichelte, hatte sie das Gefühl abzuheben.
Um vier Uhr morgens schloss das Vega seine Türen. Mit den letzten Nachtschwärmern erhoben sich auch Rachel und Samuel. Joanna und ihr mysteriöser eleganter Begleiter waren verschwunden. Sie holten ihre Mäntel von der Garderobe, setzten die Mützen auf, banden die Schals um und traten in die eisige Nacht hinaus.
»Wo wohnst du?«, fragte Samuel, als sie bei seinem Auto angekommen waren.
»In Ø restad.«
»In der Nähe des Bella Center?«
»Ja.«
»Wie praktisch.«
»Im Moment ist meine Wohnung unser Hauptquartier. Das heißt, nicht heute Abend … heute haben wir frei.«
Sie überholten eine kleine Gruppe torkelnder Betrunkener. Samuel legte den Arm um ihre Schultern.
»Soll ich dich absetzen?«
»Ich wollte ein Taxi nehmen, mach dir keine Umstände.«
»Ich tue es gerne, es macht mir Freude.«
Acht Monate später näherte sich Rachel im Laufschritt dem Bella Sky . An besagtem Samstag hätte sie besser ein Taxi nehmen sollen.
■ ■ ■
Nachdem sie den Weg über geschwiegen hatten, begannen sie, vor Rachels Haus angekommen, wieder zu scherzen, und neckten sich wegen ihrer jeweiligen Unzulänglichkeiten,
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