Wehrlos: Thriller
wie eine Flutwelle in die Stadt geströmt, um »die falschen Lösungen der Klimapolitik« fortzuspülen. Zur gleichen Zeit gab es ähnliche Kundgebungen in London, Jakarta, Tokio, Peking, New York … Eine weltweite Mobilisierung, um Druck auf die Minister und Staatschefs auszuüben, ehe sie sich am 16. Dezember im Bella Center treffen würden.
Die Kopenhagener Demonstranten waren erschöpft, nachdem sie den ganzen Tag bei eisiger Kälte vom Parlament zum Kongresszentrum gezogen waren. Aber das war schon vergessen, nun wurde ausgelassen gefeiert. Die Mobilisierung hatte alle Erwartungen übertroffen und sämtliche Umweltorganisationen vereint, aber auch die Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit mit einbezogen. Das bewies, dass die Themen, um die es in Kopenhagen gehen sollte, sich nicht auf die Umwelt beschränkten.
Rachel war begeistert gewesen von dem Kampfruf Yes we can, yes we must, yes we want , den der neue Direktor von Greenpeace International, der charismatische Südafrikaner Kumi Naidoo, skandiert hatte. Von der Tribüne aus hatte er mit erhobener Faust die Menge aufgefordert, in den Slogan einzustimmen. Insgesamt waren – das Verhalten einiger Provokateure ausgenommen – keine Ausschreitungen zu beklagen. Die Mitglieder von Green Growth und die der anderen Organisationen beglückwünschten sich zum guten Verlauf dieses Tages. Nun war nur noch eines angesagt: relaxen.
Dafür gab es keine bessere Adresse als den Vega Natklub . Dieser Tempel der elektronischen Musik erstreckte sich über die drei Stockwerke des ehemaligen »Folkets Hus«, »Haus des Volkes«, aus den Fünfzigerjahren. Dort konnte man tanzen oder sich auf den Sofas der Klublounge entspannen.
Zunächst gönnten sich Rachel, Peter, Paula, Frederik und Joanna ein paar Bier an der runden Bar im Zwischengeschoss, von wo aus man die riesige volle Tanzfläche überblickte.
Später tanzte Rachel wie eine Besessene. Die Anspannung fiel von ihr ab. Schnell gesellten sich andere Aktivisten von Green Growth, aber auch Jesus zu ihr. Er hatte zu viel Haschisch geraucht und war völlig high. Neben ihm tanzte, ein Mädchen im Arm, ein Unterhändler, der die vom Versinken bedrohten kleinen Inseln vertrat, und ein wichtiger Vertreter Afrikas – unglaublich sexy mit seinem aufgeknöpften weißen Hemd – zeigte, dass er sich auf dem Tanzparkett ebenso sicher zu bewegen wusste wie auf der politischen Bühne. Die chinesischen Abgeordneten lagen, ebenso wie ihre russischen Kollegen, bereits unter den Tischen.
Die Stimmung war gut, ausgelassen und entfesselt. Nachdem sie eine ganze Weile getanzt hatte, hielt Rachel nach Joanna Ausschau, um ihr einen Mojito vorzuschlagen. Aber sie war verschwunden. Auf der Suche nach ihrer Freundin verließ sie die Tanzfläche und begab sich ins oberste Stockwerk. Dort herrschte eine ganz andere Atmosphäre. Der niedrige, große Raum im Industriedesignstil war von einem Sprachgewirr erfüllt, das die Loungemusik übertönte. An den roten Ziegelwänden standen ein Dutzend Ledersofas, auf denen sich Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft und Altersklassen niedergelassen hatten, um zu diskutieren.
Rachel sah sich um und entdeckte in einer Ecke Joanna, die in ein angeregtes Gespräch mit einem Unbekannten vertieft war. Der Mann war um die dreißig, dunkelhaarig und kräftig – ein attraktiver, eleganter Typ. Wer ist das denn nun wieder … Rachel wandte sich ab. Sie ist wirklich unglaublich . Und in diesem Augenblick sah sie Samuel von Lommel, der den Blick nicht von ihr abwandte.
Durch den Alkohol ermutigt, den sie auf mehr oder weniger leeren Magen getrunken hatte, ging Rachel zu ihm, gab dem Dänen, der auf dem Sofa lungerte, zu verstehen, er solle etwas zur Seite rücken, und ließ sich so dicht neben dem Reporter nieder, dass sich ihre Schultern fast berührten.
»Zufrieden mit deinem Tag?«, fragte sie in verführerischem Tonfall.
»Und du?«, gab der Reporter mit einem charmanten Lächeln zurück.
»Super, das war ein historisches Ereignis.«
Samuel nickte belustigt und bedachte sie mit einem zärtlichen Blick. Rachel spürte, wie sich ihre Brust zusammenschnürte und ihr Herz schneller schlug.
»Seit wann engagierst du dich im Umweltschutz?«, wollte er wissen.
»Seit meiner Jugend.«
»Hast du immer hier gelebt?«
»Nein, ich bin in Paris geboren. Und du?«
»Auch in Paris, aber dann war ich in etlichen südafrikanischen Ländern, und jetzt hat es mich
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