Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wehrlos: Thriller

Wehrlos: Thriller

Titel: Wehrlos: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
Vom Netzwerk:
Medikamenten. Sie hatte sie bei einem Diskussionsabend in Paris kennengelernt.
    Evelyne, die aus Quebec stammte, war eine energische und patente Frau in den Sechzigern, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, Fahrlässigkeiten und grobe Mängel vonseiten der Pharmakonzerne unnachgiebig zu verfolgen. Rachel hatte sich sofort wohlgefühlt an der Seite dieser großherzigen Frau, die niemals aufgehört hatte, sich zu empören, seit ein schrecklicher Schicksalsschlag sie getroffen hatte. Rachel und sie waren sich immer wieder mal über den Weg gelaufen und hatten sich zu einem Mittagessen oder auf einen Kaffee getroffen. Und jedes Mal war Rachel, die angehende Umweltaktivistin, gestärkt und voller Energie und Tatendrang von diesen Begegnungen zurückgekehrt.
    Besonders in Erinnerung geblieben war ihr das Treffen in Paris im Jahr 2000 . »Evelyne hat unter sehr schwierigen Umständen ihre Tochter verloren«, hatte ihr ein gemeinsamer Freund erzählt. Und von diesen Umständen hatte ihr die Kanadierin bei einer Unterhaltung im Café des Halles in Paris berichtet.
    »Meine Tochter hieß Beatrice. 1983 war sie dreizehn Jahre alt, ein lebensfrohes junges Mädchen. Ihr einziges Problem war, dass sie ihrer Meinung nach für ihr Alter zu klein war. Ihre Klassenkameraden hänselten sie, nannten sie › Gnom ‹ oder › Mikrobe ‹ . Es war unerträglich. Sie träumte davon, ein paar Zentimeter größer zu werden, konnte an nichts anderes mehr denken.«
    Evelyne standen Tränen in den Augen, während sie ihren Tee trank.
    »Nun, unser Hausarzt überwies mich zu einem Endokrinologen, einem sehr angesehenen Spezialisten, der mir von einer Behandlung mit Wachstumshormonen erzählte, die natürlichen Ursprungs seien, weil sie aus der menschlichen Hypophyse gewonnen würden. Zudem waren sie von einem großen Institut mit einem Gütesiegel versehen, also zertifiziert. Deshalb habe ich mir auch keine weiteren Gedanken über die genaue Herkunft der entnommenen Hypophysen gemacht. Von 1983 bis 1986 hat Beatrice diese Spritzen bekommen.«
    Rachel hatte von dem Skandal mit den Wachstumshormonen gehört, doch sie war nie davon betroffenen Eltern begegnet. Ihr schnürte sich die Kehle zu, als Evelyne ihr das weitere Geschehen schilderte.
    »Im Sommer 1986 «, fuhr Evelyne fort, »war Beatrice drei oder vier Zentimeter gewachsen, doch viel mehr tat sich nicht. Im Jahr 1985 hatten die Vereinigten Staaten die Wissenschaftler weltweit vor dem Risiko gewarnt, sich durch die Injektion von Wachstumshormonen mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu infizieren, da manche der entnommenen Hypophysen Prionen, also atypische Proteine, enthalten könnten. Einige meiner Verwandten, die in New York lebten, erzählten mir davon, doch hier in Frankreich hatte man angeblich noch nichts darüber gehört. Trotzdem ließ ich die Behandlung meiner Tochter sofort abbrechen.«
    Evelyne ereiferte sich immer mehr.
    »Von 1990 bis 1992 hat man offiziell neunzehn Fälle der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bei den behandelten französischen Kindern festgestellt. Doch wir sind vor diesem Risiko nicht gewarnt worden. Das ungeschriebene Gesetz des Schweigens war derart stark, dass niemand eine Verbindung zwischen der Behandlung mit Wachstumshormonen und der Krankheit herstellen wollte, die die Kinder befallen hatte. Beatrice litt erst unter Depressionen, dann bekam sie Probleme mit der Motorik und Gedächtnisstörungen.«
    Von Evelynes Bericht aufgewühlt, hatte Rachel wie gelähmt dagesessen. Und Evelyne schien es gutzutun, ihre Leidensgeschichte erzählen zu können.
    »Weißt du, nach und nach wurde meine Tochter zu einem Schatten ihrer selbst. Sie war sehr unruhig und stand ständig unter Stress. Die Ärzte attestierten ihr eine › psychologische Störung ‹ , und damit, Rachel, das kann ich dir versichern, fing der Horror erst richtig an. Als sich ihr Zustand nicht besserte, isolierte man sie von ihrer Familie. Ich durfte sie weder anrufen noch ihr schreiben.«
    Rachel stützte ihr Kinn in die Hand, damit Evelyne nicht merkte, wie es bebte.
    »Am 2. Januar 1993 wurde Beatrice in die Klinik eingewiesen«, fuhr Evelyne fort, den Blick ins Leere gerichtet. »Am 4. Januar, daran erinnere ich mich genau, gab es im Fernsehen eine Reportage über Kinder, die an den Folgen der Behandlung mit Wachstumshormonen gestorben waren. Ich erkannte sofort, dass es die gleichen Symptome waren, an denen auch meine Tochter litt. Am 15. Januar bestätigte ein Neurologe meine Vermutung

Weitere Kostenlose Bücher