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Wehrlos: Thriller

Wehrlos: Thriller

Titel: Wehrlos: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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wollte und plötzlich nach »Monsieur Lulu« verlangte, den er ein Jahr zuvor auf der Straße verloren hatte. Rachel hatte sich selbst völlig idiotische Sachen sagen hören wie: »Er ist im Land der Schmusetiere« oder »Da, wo er ist, denkt er an dich« und ähnlichen Unsinn, um den Jungen zu beruhigen. Dann hatte Sacha gefragt: »Ist Monsieur Lulu bei Oma?«, und sie hatte geantwortet: »Ja« und schließlich erschöpft das Zimmer verlassen.
    Christa war der einzige Mensch in ihrem Leben gewesen, der ihr das gegeben hatte, was sie von einer Familie erwartete. Was sollte sie ohne sie anfangen?
    Rachel hatte außer einem Stück schwarzem Roggenbrot nichts heruntergebracht. Dann hatte sie die alte Schnapsflasche herausgeholt, die Christa vor langer Zeit dagelassen hatte.
    Beim fünften Glas war sie betrunken genug, um das zu tun, was sie seit Stunden vor sich herschob und in nüchternem Zustand nicht fertiggebracht hätte. Sie griff nach ihrem Handy, suchte im Telefonbuch nach einer Nummer, die sie nie benutzte, und drückte auf »Wählen«. Die Sekunden vor dem Klingelton schienen ihr endlos. Dann war die Verbindung hergestellt.
    »Hallo?«
    Niels’ tiefe, vertraute Stimme, die aus der Vergangenheit aufzutauchen schien, hallte laut in ihrem Kopf wider. Rachel hörte im Hintergrund Stimmengewirr. Eine Kneipe oder ein Restaurant. Sie hatte keine Ahnung, wo er sich befand, in welchem Hafen und mit welchem Mädchen.
    »Hier ist Rachel. Ich muss mit dir reden.«
    »Was ist los?«, antwortete Niels misstrauisch.
    »Es ist zu laut um dich herum, kannst du bitte woanders hingehen?«
    Sie hörte Stimmen, Gelächter, Hintergrundmusik, die nach und nach leiser wurden. Eine Tür schloss sich. Dann ertönte Niels’ Stimme klar und deutlich.
    »Also, was ist los?«
    »Es ist wegen Christa … Sie hatte wieder eine Herzattacke.«
    »Was sagst du da?«
    »Sie ist nicht wieder aufgewacht, Niels. Es tut mir unendlich leid, dir das so sagen zu müssen.«
    Rachel zwang sich, deutlich und langsam zu sprechen und Mitleid in ihre Stimme zu legen. Der Alkohol machte ihren Mund trocken und beschwichtigte ihre alten Ressentiments. Ohne den Aquavit hätte sie den Mann, der ihr das Herz gebrochen, seine Mutter unglücklich und das Leben ihres Sohnes noch schwerer gemacht hatte, sicher mit Flüchen und Beschimpfungen überschüttet. Es folgte ein langes, verlegenes Schweigen. Rachel wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Ich nehme morgen früh den ersten Flug«, erklärte Niels schließlich.
    »Wo bist du?«
    »Auf einem Zwischenstopp in Portsmouth. Wann ist die Beerdigung?«
    »Ich weiß nicht. Sicher in den nächsten Tagen.«
    »Ich werde da sein.«
    Es gab nichts mehr zu sagen. Trotz aller Bemühungen stieg Wut in Rachel auf, und sie wurde aggressiv. »Und du fragst mich nicht einmal, wie es Sacha geht?«
    In dem Moment, da sie die Worte aussprach, bedauerte sie sie auch schon. Niels verdiente es nicht, etwas von seinem Sohn zu hören, er verdiente nichts als Gleichgültigkeit.
    »Doch, natürlich. Ich kann es nicht erwarten, ihn zu sehen.«
    Rachel umklammerte das Handy. Er kann es nicht erwarten. Mein Gott! Sie knirschte mit den Zähnen. Dann legte sie auf und schenkte sich noch einen Aquavit ein. Und einen nächsten.

KAPITEL DREI
    Meine Gedanken sind in dieser schwierigen Zeit
    bei dir. Lass uns etwas trinken gehen, wann immer
    dir danach ist. Herzlichst, Sam.
    Ehe er das Restaurant Eraonra betrat, eine der wenigen guten Adressen im Zentrum der Kopenhagener Altstadt, hatte Samuel diese SMS an Rachel geschickt. Es war die dritte, seit er von ihrer Verbindung zu der in Ø restad aufgefundenen Leiche erfahren hatte. Nachdem er keine Antwort erhalten hatte, machte er sich Sorgen um sie. Ohnehin hatte Rachel seine Gedanken sehr beschäftigt, seit sie vor ein paar Tagen erneut in seinem Leben aufgetaucht war. Ihr Wiedersehen bei dem Interviewtermin hatte die Dinge nicht vereinfacht, ganz im Gegenteil. Als er sie letztes Jahr zum ersten Mal getroffen hatte, hatte er sie ausnehmend attraktiv gefunden – mit ihren großen Augen, die intensiv funkelten, wenn sie zuhörte oder vehement ihre Meinung vertrat. Auch ihr schüchternes Lächeln, hinter dem sich große Entschlossenheit verbarg, die manchmal an Verbohrtheit grenzte, berührte ihn. Sie war jemand, der leicht zu Boden gehen, aber genauso schnell wieder aufstehen und den Sturz vergessen konnte.
    Neulich abends in der Bar des Bella Sky hatte er einen neuen Zug an ihr entdeckt, das Gefühl

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