Weiberregiment
Höhle. Sie springen hin und her, wobei sich die Worte verändern und Unsinn entsteht… Wie Fahnen, die man für Signale verwendete und die jetzt einfach nur im Wind wehen…« Reißer blickte ins Leere, und ihre Stimme klang sicherer, mehr wie die eines Erwachsenen. »Und sie kommen nicht von einem Gott. Hier gibt es jetzt keinen Gott.«
»Woher kommen sie
dann
?«
»Von der Angst… Sie kommen aus dem Teil, der das Andere hasst, das sich nicht ändert. Sie kommen aus der Summe all unserer Kleinlichkeit, Dummheit und Stumpfsinnigkeit. Die Menschen fürchten das Morgen und haben aus ihrer Furcht einen Gott gemacht. Das weiß die Herzogin.«
Die Mangel knarrte und knackte. Um Polly herum zischten die Kessel, und Wasser strömte durch die Rinnen. Es roch nach Seife und nassem Stoff.
»Ich glaube auch nicht an die Herzogin«, sagte Polly. »Das im Wald war nur ein Trick. Jeder hätte sich umgesehen. Es bedeutet nicht, dass ich an sie glaube.«
»Es spielt keine Rolle, Polly. Sie glaubt an dich.«
»Wirklich?« Polly sah durch die nasse, von Dampfschwaden erfüllte Höhle. »Ist sie hier? Ehrt sie uns mit ihrer Präsenz?«
Mit Sarkasmus konnte Reißer nichts anfangen. »Ja.«
Ja.
Polly blickte sich um.
»Hast du gerade ja gesagt?«, fragte sie.
»Ja«, erwiderte Reißer.
Ja.
Polly entspannte sich. »Oh, ein Echo. Dies ist eine Höhle. Äh…«
Was nicht erklärt, warum
meine
Stimme kein Echo hat…
»Rei… ich meine, Alice?«, fragte sie nachdenklich.
»Ja, Polly?«
»Ich halte es für eine gute Idee, den anderen nichts von dieser Sache zu sagen«, meinte Polly. »Die Leute glauben gern an Götter und so, aber sie werden nervös, wenn man ihnen sagt, dass sie erscheinen. Sie…
wird
doch nicht erscheinen, oder?«
»Die Person, an die du nicht glaubst?«, fragte Reißer und zeigte ein wenig Humor.
»Ich… behaupte nicht, dass sie nicht existiert«, sagte Polly. »Ich glaube nur nicht an sie, das ist alles.«
»Sie ist sehr schwach«, sagte Reißer. »Nachts höre ich sie weinen.«
Polly suchte in dem abgehärmten Gesicht nach weiteren Informationen und hoffte, dass sich Reißer auf ihre eigene Art und Weise einen Scherz mit ihr erlaubte. Aber sie sah nur verwirrte Unschuld.
»Warum weint sie?«, fragte Polly.
»Wegen der Gebete. Sie tun ihr weh.«
Polly wirbelte herum, als sie etwas an der Schulter berührte. Es war Toller.
»Frau Enid meint, wir sollten uns an die Arbeit machen«, sagte sie. »Sie meint, die Wächter kommen gelegentlich und kontrollieren…«
Es war Frauenarbeit, was Monotonie, zermürbende Schufterei und Geselligkeit bedeutete. Polly hatte ihre Hände schon seit einer ganzen Weile nicht mehr in eine Waschwanne getaucht, und
diese
Holzwannen waren so groß, dass zwanzig Frauen gleichzeitig an ihnen arbeiten konnten. Zu beiden Seiten drückten und schlugen Arme, wrangen Wäschestücke aus und klatschten sie in die Spülwannen hinter ihnen. Polly arbeitete wie die anderen Frauen und lauschte dem Stimmengewirr um sie herum.
In dem Tratsch schwammen Informationsbrocken wie die Seifenblasen in der Wanne. Zwei Wächter hatten sich »Freiheiten herausgenommen« – noch größere Freiheiten als bisher – und waren dafür bestraft worden. Dies zog reichlich Kommentare an der großen Waschwanne nach sich. Irgendein hohes Tier aus Ankh-Morpork schien sich um die Dinge zu kümmern und hatte einen entsprechenden Befehl erteilt. Er war eine Art Zauberer, meinte die Frau auf der anderen Seite. Angeblich konnte er sehen, was überall geschah, und es hieß, dass er sich von rohem Fleisch ernährte. Geheime Augen sollte er haben. Natürlich wussten alle, dass jene Stadt voller Abscheulichkeiten war. Polly rieb eifrig ein Hemd an einem Waschbrett und dachte darüber nach. Sie dachte an einen Bussard aus dem Tiefland, der über den Bergen flog, und an ein so schnelles und verstohlenes Geschöpf, dass nur die Andeutung eines Schattens von ihm zu sehen war…
Sie arbeitete auch an einem der Kupferkessel, stieß Wäsche ins kochende Wasser und bemerkte, dass sie an diesem Ort ohne Waffen mit einer fast einen Meter langen Stange hantierte.
Die Arbeit gefiel ihr, auf eine dumpfe Art. Ihre Muskeln dachten automatisch und hielten so ihr Gehirn frei. Niemand wusste genau, ob die Herzogin tot war. Es spielte im Grunde keine Rolle. Aber an einem Punkt zweifelte Polly nicht: Die Herzogin war eine Frau gewesen. Nur eine Frau, keine Göttin. Sicher, die Leute beteten zu ihr in der Hoffnung, dass
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