Weichei: Roman (German Edition)
sich weg. Die nimmt das glatt für ihre Büttenrede mit ins Programm.«
Ich erkläre mich einverstanden, und wenige Minuten später bin ich Besitzer einer kaputten, schneeweißen Uniform. Eine Ausgehuniform eines Kapitäns zur See.
20
Am Drehkreuz
E s ist zwanzig nach sieben, und ich habe eine Horrorfahrt in der S-Bahn hinter mir. Ja, Blicke können verletzend sein. Wobei mir auch noch nie ein Kapitän in schneeweißer Schiffsuniform in der B-Ebene der Hauptwache begegnet ist.
Am Flughafen angekommen, habe ich bereits den Souvenirshop im Terminal 1 besucht und mir noch einen Lufthansa-Kranich-Anstecker gekauft, den ich mir sofort ans Revers hefte. Außerdem habe ich hundertneunundsechzig Euro in einer Reiseboutique für eine Pilotentasche ausgegeben. Schließlich bin ich Pilot und komme von einem Flug, da kann ich nicht mit Thermoskanne und Butterbrotpapier im Turnbeutel ankommen.
Der Flughafen an sich ist schon ein Ort, an dem man sich eigentlich nicht gerne aufhält. Überall genervte Reisende, Sicherheitsvorkehrungen, die einen möglichen Terroranschlag vereiteln sollen, und in der Luft wabert dieser unvergleichbare Duft der Freiheit, des Fernwehs und der Leichtigkeit des Fliegens: Kerosin!
Wenn man sich das Ganze nun noch in weißer Ausgehuniform und brummendem Schädel vorstellt, kann man erahnen, wie ich mich ungefähr fühle. Ich habe Stellung vor dem Drehkreuz am Abholerparkplatz bezogen, und innerhalb kürzester Zeit flaniert diverses Flugpersonal an mir vorbei: Flugbegleiter, Purser, Piloten, Kopiloten auf dem Weg zu ihren
Fliegern. Und allesamt in schönstem Lufthansablau gekleidet. Und wirklich jeder schenkt mir wenigstens einen, meistens jedoch ein Dutzend irritierter Blicke. Zweimal glaube ich, dass Steffi um die Ecke biegt, täusche mich aber jedes Mal. Als sich erneut zwei Piloten nach mir umdrehen, wird die Situation noch unangenehmer. Nach Anblick ihres Kollegen zur See starren sich die beiden an, und ich versinke fast im Boden vor Scham.
Es nutzt nichts, sie kommen auf mich zu, und als sie auf meiner Höhe sind, fragt der Ältere der beiden: »Warten Sie auf die Sintflut? Denn ansonsten sind Sie hier falsch, junger Mann. Der Flughafen heißt zwar Rhein-Main-Airport, aber falls sich der Meeresspiegel in den nächsten fünf Minuten nicht um ein Vielfaches anhebt, ist es hier wassermäßig nicht allzu gut bestellt.«
Ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab.
»Danke für den Tipp.«
Der Ältere schaut amüsiert und mustert mich weiter. Der Jüngere hingegen sieht aus, als hätte er nicht einmal das Alter, um einen Autoführerschein zu machen, deutet aber mit dem Finger auf mich und lacht.
»Außerdem ist Ihre Hose offen. Oder üben Sie für den Freischwimmer?«
Weiß ich doch, ihr Spacker, die Uniform ist halt kaputt. Verschämt nicke ich ein weiteres Mal. Während der Erste sich noch zurückhielt, schaut der Jüngere mich so dermaßen arrogant an, dass ich ihm am liebsten den Kranich rupfen würde. Doch nicht genug. Er legt noch nach.
»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen, oder fahren Sie mit der Fähre nach Hause?«
Sehr witzig, denke ich, als es hupt und ein Auto auf den Parkplatz fährt. Jana winkt hinter der Scheibe, und ich gehe
eilig auf das Fahrzeug zu. Schnell stelle ich meinen leeren Pilotenkoffer auf den Rücksitz und steige auf der Beifahrerseite ein.
»Wollte dich und die Herren nicht stören.« Sie nickt durch die geöffnete Tür in Richtung der beiden Piloten, die immer noch verständnislos auf dem Parkplatz stehen.
»Nein, nein, sind nur zwei Kollegen von dem Flug gewesen. Kein Problem.«
»Die schauen aber so amüsiert. Ist das wegen mir?«
»Nein, nein. Die sind eben so. Der Winni ist mein Kopilot, und der Jürgen macht gerade ein Praktikum bei uns.«
Das Schöne an einem Lügenspiel wie diesem ist, dass es fast keine Regeln und Hemmungen gibt, und so kann ich den beiden auch Namen und Funktionen geben, die ich mir ausdenke.
»Praktikum? Der macht ein Praktikum bei euch im Cockpit?«
»Ja, Schülerpraktikum von der integrativen Gesamtschule. Weißt schon, geistig zurückgeblieben.«
»Finde ich ja toll, dass ihr euch solcher Leute annehmt.«
»Ja, so sind wir halt. Ist wie eine große Familie.«
Als wir losfahren, kurbele ich noch schnell das Fenster herunter und winke den beiden zu.
»Winni, grüß deine Frau von mir. Und Jürgen, leg mir dein Praktikumsheft einfach ins Fach. Ich telefoniere dann morgen mit deiner Lehrerin. Und vergiss nicht, deine
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