Weichei: Roman (German Edition)
Epilepsietabletten zu nehmen.«
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als wir vom Parkplatz rollen und im Rückspiegel zwei verdutzte Gesichter verschwinden. Ich schnalle mich an, und wir fahren endlich weg von diesem schrecklichen Ort.
»Der Jürgen. Na ja, wir haben ja alle mal klein angefangen.«
21
Rispenhirse und das Walsterben am Main
J ana sieht echt klasse aus. Ich dagegen komme mir in meiner geliehenen Kapitänsuniform unsagbar dämlich vor. Zunächst scanne ich aus den Augenwinkeln das gesamte Restaurant auf der Suche nach auffälligen Personengruppen, die meine klägliche Maskerade durchschauen könnten. Dazu zählen neben zivilem Flugpersonal auch jegliches Personal der Seefahrt sowie Kostümverleiher und karnevalistische Klugscheißer, die mir mit ihrem besoffenen Kopf noch vorlallen könnten, dass ich ja ein Schiffskapitän und deshalb der Lufthansa-Kranich-Anstecker völliger Blödsinn sei.
Doch außer dem respektvollen Blick eines kleinen Jungen, der mit seinem klebrigen Finger auf mich zeigt, kümmert man sich nicht weiter um mich.
»Hast bestimmt einen Bärenhunger nach so einem langen Flug. Wie lange seid ihr denn geflogen?«, möchte Jana wissen.
»Fünf Stunden«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen und denke, dass man mit einer fünfstündigen Flugzeit einen Großteil der anzufliegenden Reiseziele von Rhein-Main abdecken sollte. Von Skandinavien über Russland bis nach Nordafrika. Alles machbar. Sehr gut, Robert, weiter so.
»Wow, da wart ihr aber schnell. Sagtest du nicht was von Rio?«
Verdammt. Ertappt.
»Jaaa«, sage ich gedehnt und suche in meinem völlig überforderten Hirn nach einer plausiblen Erklärung, warum Rio plötzlich auf der Weltkarte so erschreckend nah an Europa gerückt sein könnte.
Merke: Wenn man schon lügt, sollte man sich wenigstens einigermaßen behalten, welchen Stuss man von sich gegeben hat. Doch schon mit der folgenden Äußerung jage ich den nächsten Nagel in meinen Lügensarg und steuere mich damit endgültig in ein geografisches Fiasko.
»Ja, Rio. Aber nicht das Rio in Brasilien, sondern das in… in… Algerien.«
»Algerien? Sagtest du nicht, dass du dich freust, wieder dein Portugiesisch aufzufrischen?«
Alzheimer? Mangelnde Durchblutung des großen Hirnlappens? Frühfolgen des Alkoholkonsums? Egal welchen Schaden mein Gedächtnis erlitten hat, es ist unglaublich, mit welcher Präzision es mir immer wieder wichtige Fakten vorenthält und komplett auszublenden versteht. Wie kann man solche Äußerungen vergessen? Und dieses verdammte Nordafrika hat mich konzeptionell in eine zusätzliche Schieflage gebracht. Ich und mein vorlautes Mundwerk. Streng dich an, Hirn! Langzeitgedächtnis hin oder her, durchblute jetzt wenigstens den kleinen Spontanlappen.
»Das Rio, das ich meine, ist eine portugiesische Enklave«, sprudele ich auch schon aus.
»Rio in Algerien. Ist ja ein Ding, dass die überhaupt eine Stadt dort haben, die zufällig genauso heißt wie die Stadt an der Copacabana.«
»Ja. Rio in Algerien ist einst ebenfalls von den Portugiesen gegründet worden. Ist den meisten aber unbekannt.«
»Wow, was du so alles weißt. Ich hatte noch nie davon gehört.«
Ich auch nicht. Schließlich hat diese geschichtsträchtige Gründung ja auch erst in den letzten zwei Minuten stattgefunden. Dennoch nicke ich recht überzeugend. Das einzig Gute an Algerien ist, dass man so gut wie nichts von diesem Land weiß und somit fast alles möglich erscheint.
»Na ja, jedenfalls habe ich wirklich großen Hunger«, versuche ich das Gespräch weg aus Rio, zurück in dieses Restaurant und damit in Bahnen zu lenken, in denen ich mich besser auskenne.
Und Essen gehört definitiv dazu.
»Freut mich, dass du Hunger hast. Ich hoffe, du magst Rohkost.«
Ich lache laut auf, bis ich an Janas Miene erkenne, dass dies nicht als Scherz gedacht war.
»Rohkost«, wiederhole ich ganz langsam. Wohl, um mir dieses Wort selbst noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Dann lasse ich meinen Blick durch das Restaurant schweifen. Durch meine kleine Geografie- und Geschichtsexkursion habe ich gar nicht mitbekommen, in welches Restaurant mich Jana entführt hat.
Zum Goldenen Halm steht auf der Speisekarte. Und direkt darunter: Frankfurts erstes Rohkost- und Healthfood-Restaurant .
Es gibt einige wenige Dinge, die ich bei der Nahrungsaufnahme in einem Restaurant partout nicht ausstehen kann.
Erstens: Aufgebauschte Menüansagen wie: Karamellisierte
Weitere Kostenlose Bücher