Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
grausamen Tod fanden. Vielleicht ist das Wort wegen Verkitschungsgefahr, aber auch wegen seines Gewaltpotentials aus der Mode gekommen. Aber es benennt etwas, das für ein leidenschaftliches Leben dennoch unerlässlich ist. Ohne Hingabe erschließt sich das Leben nicht. Aber man muss wissen, wozu man solche Hingabe wagt und ob dieses Wagnis im Dienst des Lebens oder des Todes steht.
Das Substantiv »Hingabe« ist im Deutschen selten geworden. Aber das Adjektiv »hingebungsvoll« gibt es noch. Man spricht davon, dass Handwerker hingebungsvoll ihr Handwerk ausüben. Bei Kindern lässt sich besonders gut beobachten, dass man auch hingebungsvoll spielen kann. Man geht hingebungsvoll einer Kunstrichtung nach oder übt auf diese Weise ein Ehrenamt aus – was sehr wahrscheinlich ist, denn Ehrenämter hat man freiwillig übernommen. Wenn man aber etwas hingebungsvoll tut, wenn man sich ganz hineingibt und leidenschaftlich bei der Sache ist, so fließt die Lebendigkeit desLebens zu. Das zeigt sich bei dem noch häufig und sehr gern gebrauchten Ausdruck: »sich hingebungsvoll küssen«. Es verweist auf das Erotische, das der Hingabe innewohnt. Denn in der Liebe erfährt man die höchste Intensität des Lebens überhaupt. Und in der Liebe ist ohne Hingabe nichts zu machen.
Von solcher hingebungsvollen Liebe zu Gott, zu den Mitmenschen und zum neugeborenen Kind sind die Menschen bewegt, die sich rund um die Krippe versammeln. Sie sind bereit, das miteinander zu teilen, was sie haben, selbst wenn es nicht viel zu sein scheint. Aber alles, was sie geben, dient dem Aufblühen des Lebens. So gewinnt der Ort Bet-Lehem seine Bedeutung zurück, es wird zum »Haus des Brotes«. Die Menschen an der Krippe gehören nicht zu denen, die gesellschaftlich als die Reichen gelten. Eher stehen sie auf der Seite der Armen und Marginalisierten, selbst die Sterndeuter sind Fremde im fremden Land. Aber sie überwinden den Status der Marginalisierung, indem sie eine neue Kultur des Teilens etablieren. An der Krippe sind nicht die vielsagenden Führungskräfte eines Staates oder die Künstler und Wertschaffenden einer Gesellschaft die Kulturschaffenden, sondern jene, die sonst nichts zu sagen haben. Auch das zeichnet Weihnachten aus: Die Menschen, die von Armutserfahrungen geprägt sind, werden zu Kulturschaffenden. Denn mit aller Selbstverständlichkeit rufen sie eine Kultur des Teilens ins Leben.
Und dann stehen sie zusammen an der Krippe und erleben das unsägliche Glück, dass eine Geburt geglückt ist. Jede Geburt erneuert das Leben und schenkt denen, die dabei sind und mitwirken, einen neuen Anfang. Die Gegenwärtigkeit dieses Augenblicks – sie macht denZauber des Weihnachtsfestes aus. Die Hirtinnen und Hirten wissen nicht, was sie nach der Rückkehr zu ihren Schafen, hinaus aufs freie Feld, erwartet. Die Sterndeuter wissen nicht, ob sie mit heiler Haut wieder nach Hause zurückkommen werden. Maria und Josef wissen nicht, was nach der Geburt auf sie zukommt. Aber das alles tritt zurück. In diesem Augenblick von Weihnachten verlieren Sorgen und Nöte gänzlich ihren Zugriff auf das Leben. Alle sind präsent, ganz da, ganz wach und gegenwärtig. Niemand schaut griesgrämig, missmutig oder gar rachsüchtig drein. Mit dem Blick auf das Neugeborene in der Krippe bricht sich das Leben leidenschaftlich Bahn. Die Geburt ist geglückt. Das Leben eines jeden Menschen an der Krippe erneuert sich und ist ganz und gar präsent. So wird die Geburt an einer armseligen Krippe zu einem Ort voller Leben, der Liebe und Geborgenheit ausstrahlt.
3. Inkarnation – Gottes Wagnis der Verwundbarkeit
Was bedeutet »Inkarnation«?
Inkarnation ist ein theologischer Fachbegriff, der aus dem lateinischen Wort »caro«, »Fleisch« entwickelt wurde. Er bezeichnet die »Fleischwerdung« Gottes in Jesus Christus: in-carn-atio. Interessanterweise steckt in dem Wort zugleich das lateinische »natio«, das Geburt bedeutet. Die Menschwerdung Gottes vollzieht sich als »In-Fleisch-Geburt« (in-car-natio).
Der Weg jener Menschen, die ihre Verwundbarkeit für das Neugeborene aufs Spiel setzen, führt zu Jesus an die Krippe. Es ist der Weg von säkularen Fragen des Zusammenlebens hin zu der religiösen Dimension, die in diesen Fragen wirksam ist. Aus Sicht des Christentums ist Verwundbarkeit ein Thema der Menschen und daher auch ein Thema Gottes. Denn es ist Gott selbst, der in diesem Kind in der Krippe Mensch wird. Der Glaube an die »Fleischgeburt«, die Inkarnation
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