Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)
erledigt hatte, trat er den Heimweg an und fuhr gar schnell über Schnee und Eis dahin. Wie er schon eine gute Strecke zurückgelegt hatte, kam er zu einem herrlichen Schlosse, das er früher noch nie gesehen hatte. Das schöne Gebäude war aber von einem stolzen Garten umgeben, in dem die lieblichsten Rosen zahllos blühten. Da dachte sich der Kaufmann: »Hier muß ich nach einer Rose schauen, denn ich möchte meinem ältesten Kinde doch eine Freude machen.« Er stieg deshalb aus dem Schlitten, ging in den Garten hinein und pflückte eine Rose. Dann wollte er wieder rasch zum Schlitten und von dannen fahren. Allein dies ging nicht so schnell; denn kaum hatte er die Rose gepflückt, so hörte er sich beim Namen rufen. Erstaunt sah er sich um und erblickte zu seinem großen Schrecken einen zotteligen Bären, der ihn anbrummte: »Du hast dich unterfangen, in meinen Garten einzubrechen und eine Rose zu stehlen, dafür sollst du büßen. Schickst du mir deine Tochter, für die du diese Rose gepflückt hast, binnen vierzehn Tagen hierher, so ist es recht. Tust du das nicht, so sollst du sehen, wie es dir und den Deinigen gehen wird.«
Der Kaufmann erschrak über diesen unvermuteten Auftritt dermaßen, daß er, ohne eine Antwort zu geben, sich eiligst aus dem Staube machte. Er lief zu seinem Schlitten, schwang sich hinein und fuhr über Eis und Schnee seiner Stadt zu. Da hatten die drei Töchter große Freude, als sie ihren Vater kommen sahen. Sie sprangen ihm entgegen und begrüßten ihn herzlich. Sie bemerkten aber bald, daß ihr Vater ernst und trübe gestimmt sei, und das verdarb ihnen sogar die Freude an den schönen Geschenken. Sie fragten ihn nun so lange, was ihm fehle, bis er ihnen endlich erzählte, was der schreckliche Bär zu ihm gesprochen hatte. Da machten die zwei jüngeren Töchter gar hämische Gesichter und sprachen zur Ältesten: »Siehst du, wie es dir geht, weil du gerade eine Rose haben mußtest. Dir geschieht recht, wenn du eine Bärenbraut wirst. Mit den Leuten kannst du doch nicht umgehen.«
So höhnten sie und hatten die größte Freude über das Unglück, das ihrer guten Schwester drohte. Doch diese blieb gefaßt, denn sie hatte ein reines Gewissen, und dachte sich: »Gar so bös wird der Bär nicht sein.« Sie brachte ihre Sachen in Ordnung und nahm am vierzehnten Tage von ihrem Vater und ihren Schwestern Abschied, und fuhr dann auf der Landstraße so lange, bis sie zum Schlosse des Bären kam. Dieser wartete schon auf sie am Eingange des Gartens und empfing sie freundlich. Dann führte er sie in das prächtige Schloß, bot ihr Erfrischungen und wies ihr die schönsten Zimmer zum Aufenthalt an. Da fand sie alles, was sie nur wünschen mochte, und es mangelte ihr an nichts. So lebte sie nun im Schlosse, und der Bär, der sich gar freundlich zeigte, leistete ihr Gesellschaft. Sie schickte sich bald in ihre Lage und lebte vergnügt und glücklich.
Doch nach einiger Zeit ergriff sie eine starke Sehnsucht, ihren Vater wiederzusehen, so daß sie endlich dem Bären von ihrem Anliegen erzählte. Da brummte dieser anfangs und wollte von einem Besuch bei dem Vater nichts wissen. Als aber die Jungfrau von neuem bat, brummte der Bär: »Geh, wohin es dich zieht, aber länger als zwei Tage darfst du nicht bei den Deinen bleiben.« Dann nahm er einen Ring aus einem verborgenen Kästchen und gab ihn der Kaufmannstochter mit den Worten: »Wenn du dieses Ringlein am Abende vor deiner Abreise an den Finger steckst, so wirst du dich am folgenden Morgen in deinem Vaterhaus befinden. Bleib dann zwei Tage dort. Dann mußt du abends wieder das Ringlein anstecken, auf daß du am dritten Morgen schon wieder hier seist.« Die Kaufmannstochter war darüber hocherfreut und konnte den Abend kaum erwarten. Als es endlich dunkelte, steckte sie das Ringlein an ihren Finger und wollte dann einschlafen. Allein das ging nicht so schnell. Die Freude ließ ihr keine Ruhe und erst gegen Mitternacht fielen ihr die Augen zu.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, fand sie sich im Haus ihres Vaters. Sie war von ihren Angehörigen freundlich aufgenommen worden, und auch ihr Vater freute sich über das unerwartete Wiedersehen seiner Tochter sehr. Da gab es einen recht gemütlichen, heiteren Tag, und niemand dachte ans Abschiednehmen. Am nächsten Tage erst sagte die Tochter, die aus der Fremde gekommen war, daß sie am folgenden Morgen wieder beim Bären sein müsse. Da waren alle überrascht und drangen so lange in die Jungfrau, bis
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