Weihnachten mit Hund und Engel (German Edition)
Tagen wie gerädert und schob es auf die viele Arbeit und den Schreibkram, den er vor Weihnachten noch vom Tisch haben wollte.
Eine Woche war vergangen, seit er zuletzt mit Hannah gesprochen hatte. Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien war er ihr vor dem Kindergarten begegnet, hatte sich jedoch von ihr ferngehalten, und auch sie hatte keinerlei Anstalten gemacht, ihn anzusprechen.
Das gab natürlich erneut gehörig Stoff für die Spekulationen der anderen Eltern, doch das, so redete er sich ein, ließ ihn kalt. Er hatte sich nicht aufgehalten und war mit Mario ohne Umwege nach Hause gefahren.
Sein Sohn hatte natürlich jeden Tag erzählt, was ihm Paula von ihrem Vater berichtet hatte, doch Leon hatte dann jedes Mal seine Ohren auf Durchzug gestellt. Er wollte nichts davon wissen und auch nicht, wer diese Birgit war, deren Name hin und wieder fiel. Sie war vermutlich eine Freundin von Hannah, ebenso wie diese Silke, von der sie häufiger erzählt hatte. Vielleicht war sie auch mit Hannah verwandt, denn offenbar nannte Paula sie »Tante«. Da er sich jedoch nicht selbst quälen wollte und sich mit seiner Wut vollkommen im Recht wähnte, ließ er keine weitergehenden Überlegungen zu diesem Thema zu.
Außerdem war er heute, am Samstag vor dem dritten Advent, sehr damit beschäftigt, den Wald zu kontrollieren und sicherzustellen, dass die Leute, die in Scharen die Wege unsicher machten, wirklich nur Tannenbäume aus den ausgewiesenen Bereichen schlugen. Das Geschäft mit Weihnachtsbäumen lief so gut wie jedes Jahr, doch hatte er heute bereits mehrfach Verwarnungen aussprechen müssen, weil es immer wieder Leute gab, die glaubten, nur eine unerlaubt geschlagene Tanne sei ein guter Weihnachtsbaum.
Leon schlug den Weg zur Nordseite des Waldes ein, wo sich ein weiterer Weihnachtsbaumplatz befand. Er lief einen Bogen und stieg auf eine kleine Anhöhe, von der aus er fast den gesamten Bereich überblicken konnte.
»Ich glaube, hier werden wir fündig, was meinst du, Paula?«, fragte Torsten seine Tochter und wies auf die mit Plastikband eingezäunten Tannenbäume. »Die müssten genau die richtige Größe haben.«
Paula rannte los, kletterte unter der Absperrung durch und begutachtete einen der Bäume. Hannah leinte Billa ab und ließ sie an den Spuren der anderen Hunde schnüffeln, die ihnen bereits in Scharen begegnet waren. An diesem Wochenende schien sich die halbe Stadt entschlossen zu haben, auf die Suche nach einem Christbaum zu gehen.
Hannah ertappte sich mehrfach dabei, dass sie nach Leon Ausschau hielt. Wenn sie ehrlich war, hatte sie den Vorschlag, hier einen Baum zu suchen, nur gemacht, weil sie in der Zeitung gelesen hatte, dass der Gebietsförster Leon Marbach die Bürger dazu einlud, sich in drei verschiedenen Waldstücken selbst ihren Weihnachtsbaum zu schlagen. Sie wusste, dass es dumm von ihr war. Sicher wäre es besser gewesen, einfach einen Baum in der Gärtnerei zu kaufen. Außerdem war bisher von Leon weit und breit nichts zu sehen.
»Von der Größe her passen sie wohl«, meinte sie. »Aber diese hier sind ganz krumm!«
»Vielleicht finden wir da drüben einen schönen geraden Baum«, meinte Torsten und hielt ihr zuvorkommend das Absperrband hoch, damit sie ebenfalls hindurchschlüpfen konnte. »Schau mal, dieser Baum hier wäre auch nicht schlecht.«
»Nee, Papa, der ist ja viel zu klein!«, protestierte Paula. »Ich will den da!«
»Schätzchen!« Torsten lachte. »Der ist viel zu groß. Den kriegen wir nie in euer Wohnzimmer.«
»Och Mensch! Und der da?« Paula nahm seine Hand, und er ließ sich, noch immer lachend, zu einem weiteren Baum ziehen.
Torsten hob seine Tochter über ein kleines schneebedecktes Gebüsch, damit sie sich die Tanne aus der Nähe ansehen konnte. Dann reichte er Hannah seine Hand und stützte sie, als sie ebenfalls darüber stieg.
»Gar nicht so schlecht«, meinte er. »Nur diesen Ast hier müsste man einkürzen. Was meinst du, Hannah?«
Auf der Anhöhe angekommen, blieb Leon wie angewurzelt stehen. Weniger als hundert Meter von ihm entfernt erkannte er Hannah und einen Mann. Paula zwischen sich, begutachteten sie lachend einen Tannenbaum und gingen dann langsam weiter. Der Mann – Paulas Vater, daran gab es keinen Zweifel – hob das Mädchen hoch, schwenkte es durch die Luft und setzte es jenseits eines dicken Baumstumpfes wieder ab. Leon vernahm das begeisterte Quietschen der Kleinen und spürte gleichzeitig einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend.
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