Weihnachten mit Mama
mich restlos hypnotisierte, gab ich – wie immer – meinen Widerstand auf. Er war einfach zwecklos. Oder anders gesagt: Sie war stärker als jedes Argument, jede Gegenwehr, jeder Zweifel. Mit ihrem Durchsetzungsvermögen hätte Mama es mühelos an die Spitze eines im DAX notierten Konzerns geschafft.
Schon hatte sie ein Einkaufskörbchen gegriffen und begonnen, sich mit dem Verkäufer, der von ihrer Begeisterung entzückt war und wohl das Geschäft des Tages witterte, über alle Finessen einer elektrischen Krippenillumination auszutauschen. Und dann shoppte sie. Ein leuchtender Stern direkt im Krippenbogen. Ein Strahler, den man versteckt im Moos anbringen konnte, um die Heilige Familie ins richtige Licht zu setzen. Ein flackerndes Lagerfeuer unter einem Holzstapel, für die braven Hirten und ihre frierenden Schafe. Ein weiteres Feuer mit dem erwähnten Kupferkesselchen, ebenfalls flackernd. Eine Stalllaterne, die man in die Ecke zu Ochs und Esel stellen konnte. Zehn – sic! – Packungen frisches Moos. Ein Engel, der den Hirten auf dem Feld erscheinen sollte. Ein Hirtenhund, ein Neuzugang der Krippenfamilie. Noch ein Rauschgoldengel für die Christbaumspitze. Und was für einer! Mehr Rausch war nie an irgendeinem deutschen Tannenbaum.
»Das war’s, gnädige Frau?«
»Ja, danke.«
»Einhundertachtundvierzig Euro, gnädige Frau.«
»Gerne, Herr Krippenmann.«
Herr Krippenmann! Für einhundertachtundvierzig Euro ernähre ich meine kleine Familie den ganzen Dezember. »Du übertreibst«, würde Julie sagen. Na, wenn schon.
Mama strahlte mich an. »Papa wird begeistert sein.«
»Bestimmt.«
»Du könntest deine Eisenbahn wieder aufbauen und die Krippe da integrieren.«
»Bestimmt nicht.«
»Komm, wir essen eine Bratwurst.«
Auch dieser so harmlose Satz war nichts anderes als die Einladung zu einer Geduldsprobe. Signora Siebenschön speist schließlich nicht am nächstbesten Wurststand. Nein, erst muss verglichen werden. Nicht die Preise, die waren Mama ziemlich egal. Sondern die Zubereitung. Es kam selbstverständlich nur eine über Holzkohlenfeuer gebratene Wurst in Betracht. Was in Fett schwamm, in der Pfanne zischte oder auf Grillstangen der Vertrocknung entgegenbriet, fand keine Gnade. Sie musste »nach Nürnberger Art« sein, mindestens, »schön durch«, vielleicht etwas aufgeplatzt, auf jeden Fall mit charakteristischen Grillstreifen. Es musste die perfekte Christkindlmarktwurst sein.
Wir waren dreimal über den ganzen Markt gegangen, da hatte Mama sich endlich entschieden, nach etlichen: »Den Glühwein hier kannst du nicht trinken!« und »Dampfnudeln bekomme ich nicht runter!« und »Die braten hier die Würste nicht, die ertränken sie in Fett!« und »Der Weihnachtspunsch an diesem Standl schmeckt pappsüß!« und »Die gebrannten Mandeln da hinten sahen frischer aus!« Endlich wurde sie uns auf Papptellern gereicht, die Weihnachtsmarktwurst, die unseren Ver-
zehr wert war. Mama lehnt die neumodisch-praktische Art, Bratwürste direkt in eine Semmel oder ein Mini baguette zu stecken, vehement ab. – »Ich esse doch keine Hotdogs!« Und sie mag auch nicht die neumodische Ein-Meter-Bratwurst. – »So was ist pervers!« Sondern nur eine Wurst mit einem Klecks Senf und mit einer Semmel, wie es sich gehört. Und mit einem Pappstreifchen.
Sie griff zu, biss herzhaft hinein und spreizte den kleinen Finger ab. Dann fächelte sie sich mit der anderen Hand Luft zu.
»Uiii, ist die heiß.«
»Sie wurde über dem Feuer gebraten, Mama. Noch bis vor fünfzehn Sekunden.«
»Uiii, ist die heiß.«
Dann war sie im siebten Himmel. Sie machte bei jedem Bissen »Hm!« und nickte mir zu. Bei jedem Bissen. Ich nickte auch, heftig sogar. Sonst hätte ich zehnmal hintereinander den Satz gehört: » So muss eine Bratwurst schmecken, weißt du?«
Dann begann es zu schneien. Flocken tanzten ein Ballett durch alle Lichter, und eine von ihnen, eine winzige, ließ sich mit unnachahmlicher Eleganz auf der Nasenspitze meiner Mutter nieder, als sei sie der schönste Ort der Welt.
5
Aber darum musst du
dich doch nicht kümmern!
A n diesem Abend suchte ich Papas Gesellschaft. Nachdem Mama wieder in ihrem Weihnachts-Universum verschwunden war, wo vermutlich all ihre Einkäufe dazu beitrugen, das Chaos irreversibel zu machen, begab ich mich ins Bureau . Die Tür zu Papas Refugium ziert tatsächlich ein antikes Schild mit diesem alten französischen Wort, das eine Schwelle markiert, der seit jeher unbedingter Respekt
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